Primärerfahrungen
128. Februar 2020 von Marzellus
Wandertage sind gute Gelegenheiten für Primärerfahrungen. Angesichts des Waldsterbens als Folge der Klimaveränderung war ich mir schnell mit der Klassenleiterin einer siebten Klasse einig: Wir sehen uns die Waldschäden mal direkt vor Ort an.
Mein Dienstort Adenau hat einen wirklich besuchenswerten Waldlehrpfad. Den Einstieg findet man am Wanderparkplatz „Am Hüstert“. Der Rundweg ist nur 2,2 Kilometer lang, aber er führt durch einen artenreichen Mischwald, in dem etwa 20 Baumarten auf kleinen Informationstafeln beschrieben werden. Leider ist die Beschilderung ziemlich verblasst, was auch ein Hinweis darauf ist, dass die Vermittlung von Waldwissen und Walderfahrung nicht unbedingt ein wirklich dringendes Anliegen der Kommune ist.
Der Lehrpfad führt uns in einen wirklich interessanten artenreichen Mischwald und man hat an einer Stelle auch eine gute Sicht auf eine Fichtenmonokultur. Hier kann man sehen, wie die artenreiche Pflanzengesellschaft des Mischwaldes keine starken Dürreschäden aufweist, während die Fichtenplantage von Trockenheit, Frühjahrssturm und Borkenkäfer stark gebeutelt ist.
„Welche Bäume kennt ihr denn?“ Die Kinder, die neben mir wandern nennen Eiche, Buche, Fichte und den „Tannenbaum“. Aber konkret einen der benannten Pflanzen identifizieren, da haben sie Schwierigkeiten. Es überrascht mich nicht, dass unsere 13- Jährigen nicht viel Ahnung vom „Wald“ haben. Woher auch?
Von den Eltern? Auch die Landbevölkerung hat mit dem Niedergang der ehemals kleinbäuerlichen Landwirtschaft zur industrialisierten Lebensmittelerzeugung schon lange ihre ehemals vertraute Beziehung zur Natur verloren.
Von der Schule? Im Lehrplan Biologie der Mittelstufe sucht man vergeblich nach Wörtern wie Botanik oder Zoologie. Das, was mir als Schüler vor mehr als 50 Jahren am meisten Freude gebracht hat, nämlich etwas über Tiere und Pflanzen zu erfahren, spielt im Bildungszeitalter der „Kompetenzorientierung“ kaum noch eine Rolle. Die alte „Naturkunde“ ist passé. „Ziel naturwissenschaftlichen Unterrichts ist es, Phänomene erfahrbar zu machen, die Sprache der Naturwissenschaften zu verstehen, über Naturwissenschaften mit anderen zu kommunizieren und die naturwissenschaftlichen Methoden der Erkenntnisgewinnung und deren Grenzen kennen zu lernen. In diesem Sinne mit Fachwissen handelnd umzugehen, wird als „naturwissenschaftliche Kompetenz“ beschrieben.“ meint die ehemalige Kultusministerin Doris Ahnen im Vorwort über die Aufgabe des Biologieunterrichts. Natürlich beschäftigt sich der moderne Biounterricht mit „Ökosystemen“, aber da rangiert der Regenwald und das Barrier Reef vor der Natur vor der eigenen Haustür.
Wir leben in einer Zeit, in der die Menschen meinen, man müsse in der Natur etwas tun statt sie einfach nur zu betrachten und auf uns wirken zu lassen. Natur ist zum Freizeitpark abgewertet, in dem wir Fahrrad fahren, herumlaufen und unsere Schritte zählen, zurückgelegte Wanderkilometer messen. Im schlimmsten Fall rasen wir mit Enduros oder Quads über Wald- und Feldwege.
Unter den Schülern ist am Ende wenigstens einer, der erkennbar Vorwissen mitbringt. Woher? Weil sein Opa ein Privatwaldbesitzer ist, dessen Fichtenkulturen vom Borkenkäfer ziemlich geschädigt sind, wie er erzählt. Immerhin. Aber ob die auf Holzertrag ausgerichtete Sicht auf den Wald in unseren Kindern eine Liebe zur Natur wecken kann, bezweifle ich. Genau diese Betrachtungsweise führt in die ökologische Katastrophe. Ich hoffe, dass wir bald lernen, dass der Borkenkäfer kein böser Schädling ist, sondern ein Indikator dafür, dass wir uns in der Zukunft keine artenarmen Holzkulturen mehr leisten können. Wenn es schon die Eltern und Großeltern nicht verstehen, dann vielleicht die Kinder, die wir in die Wälder zum Spielen, Erfahren, Lernen und auch zum Kreativsein in die Wälder führen.
Die nachstehenden Kunstwerke stammen von den Schülern, die an der Waldwanderung teilgenommen haben.
Berührt mich, schön.
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