Die Seele des Sommers
Hinterlasse einen Kommentar10. Juni 2019 von Marzellus
„Die Bienen schenken dem Menschen Honig und duftendes Wachs, aber was vielleicht mehr wert ist, als Honig und Wachs: Sie lenken seinen Sinn auf den heiteren Junitag, sie öffnen ihm das Herz für den Zauber der schönen Jahreszeit, und alles, woran sie Anteil haben, verknüpft sich in der Vorstellung mit blauem Himmel, Blumensegen und Sommerlust. “
So schwärmt der Literaturnobelpreisträger Maurice Maeterlinck über die Tiere, die er selbst hielt, beobachtete und in seiner ersten naturphilosophischen Schrift ¨Das Leben der Bienen¨ (1901) beschrieb.
Für den flämischen Schriftsteller sind die Bienen ¨die eigentliche Seele des Sommers, die Uhr der Stunden des Überflusses, der schnelle Flügel der aufsteigenden Düfte, der Geist und Sinn des strömenden Lichts, das Lied der sich dehnenden, ruhenden Luft, und ihr Flug ist das sichtbare Wahrzeichen, die deutliche musikalische Note der tausend kleinen Freuden, die von der Wärme erzeugt sind und im Licht leben.¨
Welche schöne, empfindsame und liebevolle Wahrnehmung von Natur und Jahreszeit! Die Kulturepoche des ¨Fin de Siécle¨, der man auch den belgischen Autor zuordnet, ist jetzt fast 120 Jahre her. Die schwärmerischen Wendungen Maeterlinks erinnern uns an eine Zeit, als die Intellektuellen dem grauenhaften Materialismus entgegentraten, der heute die Welt beherrscht.
Maeterlinck beobachtet genau, was im Honigreich passiert und verknüpft damit die Idee, dass dort alles Geschehen ¨einer verhüllten Macht von überlegener Weisheit unterworfen¨ ist. Den ¨Geist des Bienenstocks¨ nennt Maeterlinck diese Kraft, und das ist dann keine Schwärmerei mehr.
Für seine Zeitgenossen war das eine offene Provokation. Seine Idee von der Weisheit in der Natur steht gegen die Auffassung von der Sonderstellung des Menschen, wie sie sowohl von der christlichen Religion als auch den Naturwissenschaften behauptet wird.
Seinen Zeitgenossen präsentierte Maerlinck eine fundamental neue Sicht der Schöpfung. In dieser sind Bienen geistgeleitete Wesen mit Empfindungen, Ahnungen und auch Absichten, Wesen also, die Glück kennen, die sich freuen, die Entscheidungen treffen.
Wer sich etwas intensiver mit dem faszinierenden Sozialinsekt Honigbiene auseinandersetzt, kann leicht nachvollziehen, dass eine rein mechanistische Betrachtung der Kreatur, der jegliche Geistigkeit, Intelligenz und Empfindungsfähigkeit abgesprochen wird, die wunderbaren und komplexen Abläufe in einem Bienenstaat wohl kaum erklären kann.
Maeterlinck löst sich von den evolutionären Vorstellungen eines Charles Darwin, der das Weltbild der Menschen seiner Zeit revolutionierte. Im Gegensatz zu dem englischen Naturforscher, der die Vielfalt der Lebensformen als Anpassungsleistungen an die jeweilige Umwelt erklärt, unterstellt der Belgier einen ständig schaffenden und verändernden Willen, der auf ein höheres Ziel, das wir Menschen nicht kennen, ausgerichtet ist.
Am Beispiel des Bienenschwarms zeigt uns Maeterlinck die ganze Bandbreite an Eigenschaften, die wir Menschen bis heute nur uns selbst zugestehen. Und er nimmt vorweg, was Bienenforscher unserer Zeit sogar wissenschaftlich nachweisen können: Bienen sind intelligente Wesen, die absichtsvoll handeln und sogar ein Ich-Bewusstsein haben. ¨Die Biene weiß, wer sie ist¨, behauptete unlängst Randolf Menzel, einer der bekanntesten deutschen Bienenforscher gegenüber der Wochenzeitung ¨Die Zeit¨. Für ihn sind die Insekten keine Wesen ohne Geist und Verstand. Thomas Seeley, amerikanischer Bienenforscher hat die komplexen Entscheidungsprozesse, wie sie in einem Bienenschwarm getroffen werden, analysiert und sie Bienendemokratie genannt. Maeterlinck hätte kommentiert: ¨Sag ich doch!¨
Der Geist des Bienenstocks steht dabei am Anfang seiner philosophischen Berachtungen. Maeterlinck nennt drei Stufen des Daseins, das reine Lebendigsein, den Instinkt und dann die Intelligenz. Für ihn stehen die Honigbienen auf dieser letzten Entwicklungsstufe, hinter der ein höherer Wille in der Natur steht.
In seiner Schrift ¨Die Intelligenz der Blumen¨ geht der Naturphilosoph, Forscher und Schriftsteller dann noch einen Schritt weiter als in seiner philosophischen Bienenkunde.
Auch in den erstaunlichen Anpassungsleistungen der Pflanzen sieht er, wie die schöpferische Intelligenz nicht nur in der Fauna sondern sogar in der Flora wirkt und relativiert die Ansicht, nur der Mensch verfüge über Geist und Willen.
¨In einer Welt, die wir für unbewusst und aller Intelligenz bar halten, wähnen wir zuerst, dass unsere geringsten Ideen neue Kombinationen und Beziehungen schaffen. Sieht man näher zu, so ist es höchst wahrscheinlich, dass wir überhaupt nichts schaffen können. Als Spätgeborene dieser Erde finden wir einfach wieder, was stets bestanden hat, und legen wie verwunderte Kinder den Weg, den das Leben schon vor uns gemacht hatte, noch einmal zurück¨
Was würde Maeterlinck zur aktuellen ökologischen Weltlage sagen? Er wäre entsetzt über den grässlichen Chauvinismus, den wir gegenüber unseren Mitkreaturen zeigen und der die geistige Grundlage für Legebatterien und Mastbetriebe in einer industrialisierten Nahrungserzeugung darstellt.
Er würde feststellen, dass wir spätestens seit dem Ende des zweiten Weltkriegs eine Welt geschaffen haben, in der Menschen durchaus Dinge schaffen, die vor uns noch nicht da waren: Die Kunststoffe der Petrochemie beispielsweise, die unsere Weltmeere und die dort lebenden Organismen bedrohlich belasten, oder radioaktive Spaltungsprodukte, die wir in ¨Unendlichkeiten¨ nicht mehr loswerden.
Das sind zwei Beispiele von vielen für das fatale Wirken menschlicher Intelligenz mit hochgradig destruktiven Ewigkeitsfolgen, deren Bedrohungspotenzial zwar hinlänglich bekannt ist, das trotzdem rapide weiterwächst wie ein Krebsgeschwulst.
Es fällt schwer, an die positive Schaffenskraft eines höheren ¨Willens¨ zu glauben, wenn man an die ¨Krone der Schöpfung¨ denkt. Über Intelligenz verfügt der Mensch ohne Frage, aber solange diese nicht mit einer Verantwortung für das eigene Überleben und das der Schöpfung verbunden ist, sind wir doch eine eindeutige Fehlentwicklung.
Da können wir von den Bienen lernen. Ihre Intelligenz wird häufig als eine ¨soziale¨ Intelligenz oder Schwarmintelligenz bezeichnet. Der Bien allein, die Gemeinschaft der drei Bienenwesen also, sichert das Überleben der Art.
Vielleicht ist die nach den Maßstäben des Tierreichs enorme Größe des Bienenstaates das Maximum für eine verantwortungsbereite Gesellschaft. Liegt hierin ein Überlebensrezept für den Menschen, der ebenfalls Staaten mit hochspezialisierten Einzelwesen bildet, in denen der Einzelne nicht mehr wichtig erscheint, wenn es keine gemeinsame Wertegrundlage mehr gibt?
Vielleicht gewinnen wir wieder mehr Übersicht über das ökologische Bedrohungsszenario, wenn wir uns als Menschheit wieder überschaubarer organisieren als in Megastädten und Weltgesellschaften. Wir bräuchten weniger Globalisierung und mehr Regionalität, weniger Betriebswirtschaft und mehr Philosophie, weniger Konsum und mehr Kultur, damit wir Spätgeborenen der Evolution uns noch lange an der ¨Seele des Sommers¨ in der Natur und in unseren Gärten erfreuen können.
Interessante Links:
Peter Schimonisek liest für Bienengarten.at Maurice Maeterlinck: Das Leben der Bienen
The Life of the Bee in Englisch im Projekt Gutenberg
Maeterlinck: Die Intelligenz der Blumen
Stefan Kleins Wissenschaftsgespräche: Die Biene weiß, wer sie ist
Bildnachweis: Pixabay, lizenzfrei