…. ess vill passiert sickher?
Hinterlasse einen Kommentar24. April 2018 von Marzellus
Vom Dach des Bundestages fliegen Bundesbienen und von den Länderparlamenten Landtagsbienen zum Sammeln aus. Und wer kennt keine Kommune, von deren Rathaus Stadtbienen starten um die Natur zu retten. Marketingabteilungen, Politiker, Medien – sie alle summen vielchorig: “Biene Maja darf nicht sterben”, entwerfen kitschige Bienenlogos, verteilen Samentütchen und propagieren mitunter ein sehr infantiles Bild von Natur und deren Schutzwürdigkeit.
Das verschafft den Kampagnenmachern Imagepunkte, aber den Bienen und ihren wilden Verwandten hilft das nicht wirklich.
Die deutsche Bundesregierung verabschiedete 2007 (15 Jahre nach der Konferenz von Rio, wo man mehr Engagement für die Erhaltung der Biodiversität gelobt hatte) eine Nationale Strategie zur biologischen Vielfalt.
Was war die Zielvorgabe? “Bis zum Jahre 2010 ist der Anteil der vom Aussterben bedrohten und stark gefährdeten Arten verringert. Bis 2020 erreichen Arten, für die Deutschland eine besondere Erhaltungsverantwortung trägt, überlebensfähige Populationen. Bis 2020 hat sich für den größten Teil der Rote-Liste-Arten die Gefährdungssituation um eine Stufe verbessert.” heißt es im besagten Strategiepapier.
Wer sich die amtlichen Roten Listen ansieht kann beim bestenWillen nicht erkennen, dass sich hier etwas zum Positiven verändert hat. Wer jetzt glaubt, dass die Daten ja von 2011 stammen, kann sich ja mal nach neueren Erhebungen umsehen. Ich habe keine gefunden. Gäbe es Grund zur Entwarnung, dann hätte man davon gelesen.
An konkreten Maßnahmen hatte man sich unter anderem vorgenommen, dass bis 2020 10 % der kommunalen Wälder aus der Nutzung herausgenommen werden. Was da bisher tatsächlich passiert ist, ist dann doch sehr bescheiden. In Rheinland-Pfalz z.B. hat man 2 Jahre vor Erreichen der Ziellinie erst gerade mal die Hälfte der Zielvorgaben umgesetzt, in NRW sieht es auch nicht wesentlich besser aus. Bundesweit ist das 10-Prozent-Wildnis-Ziel der Biodiversitätsstrategie mit 4,1 Prozent geschützten Landeswäldern noch nicht annähernd erreicht. Die Ausweisung von Naturschutzflächen stagniert seit 2005.
Vorgenommen hatte man sich die Erhaltung und Vermehrung von ökologisch wertvollen, extensiv genutzten Lebensräumen (zum Beispiel Heiden, Hecken, Streuobstwiesen, Teile des Grünlands, Weinbausteillagen). Was ist passiert?
Vorgenommen hatte man sich auch einen gezielten Einsatz von Agrarumweltmaßnahmen zur Förderung der Biodiversität – aber noch immer werden die Äcker bis an die Wegränder gepflügt und Begleitflora totgespritzt. Greeningmaßnahmen, für die die Bauern viel Steuerzahlergeld kassieren, werden nicht im Sinne des Insektenschutzes durchgeführt, sondern im Spätherbst, wenn es den Insekten keinen Nutzen mehr bringt. (siehe auch: Senf passt nicht zu allem)
Und ein wirksames Umwelt- und Naturschutzmonitoring sollte entstehen! Papiertiger, als Strategiepapier gesprungen und als Bettvorleger gelandet. Alles heiße Luft gemessen an dem was wirklich umgesetzt wurde. Keine der vollmundigen Ankündigungen der Politik wurde umgesetzt.
Im letzten Jahr gab man sich überrascht, als eine regionale Gruppe von engagierten Insektenkundlern endlich das Interesse der Öffentlichkeit erreichte mit der traurigen Nachricht: Selbst in Naturschutzflächen werden Biomasseverluste von bis zu 80% festgestellt.
Der galoppierende Artenschwund, nicht nur bei den Insekten, sondern in der ganzen Nahrungs- und Verwertungskette der Natur ist dramatisch. Die Roten Listen des Bundesamts für Naturschutz zeigen seit 1996 einen Daueralarm in Sachen Artenverlust. Gegen Ende der Dekade der Biodiversität muss man resigniert feststellen: Da ist in Deutschland nichts Entscheidendes passiert.
Aufmerksamkeit schaffendes Firmenmarketing, Aktionismus, Symbolpolitik bringt uns nicht einen Schritt weiter, solange man unseren Bienen und Insekten nicht wieder naturnahe Lebensräume schafft.
Es kommt vor allem darauf an, dass auch ein bienenfreundliches Umfeld entsteht, in den Gärten, Parks, auf Agrarflächen, entlang von Straßen, wegen und Gewässern, und was oft übersehen wird, auch in den Wäldern.
Da gibt es für alle Politikebenen noch unendlich viel zu tun.
„Mir stonn ahm Abjrund, paßt bloß op !“ heißt es in der rheinländischen BAP-Adaption (2001) des Bob Dylan Songs „My Back Pages“. In der Kölsch Rock Version heißt es: „Ess vill passiert sickher“. Das Lyrische Ich beschreibt, wie es seine eigenen Warnungen aus der Jugendphase im Alter ironisch relativieren musste. „Dat woor, als ich noch vill älder woor.“
Auf bundesrepublikanische Umweltpolitik übertragen müsste der Refrain lauten: „… ess net vill passiert sickher“
Marzellus Boos, Hobbyimker, Blogger, Autor von „Bienen. Die Seele des Sommers“