Bienen und Kinder
Hinterlasse einen Kommentar1. April 2018 von Marzellus
Wie weit fliegen die Bienen? Warum stechen Bienen? Wie machen Bienen aus Nektar Honig? Können Hummeln stechen? … 50 Kinder zwischen 6 und 14 Jahren wollten von mir wissen, wie Bienen leben und warum sie so wichtig für den Menschen und die Natur sind. Mein Besuch im Kinder- und Jugendhaus Zahnrad des DRK Brauweiler war Teil einer Ferienfreizeit zum Rahmenthema „Zurück zur Natur“.
Dass ich als Imker die Jugendarbeit der DRK in diesem Punkt unterstützen konnte, war mir wichtig. Seit Jahren registriere nicht nur ich eine zunehmende Entfremdung von Kindern und Jugendlichen von der Natur. Diesem Wahrnehmungsverlust entgegenzuarbeiten halte ich für sehr wichtig. Als Imker hat man dafür einen guten Anknüpfungspunkt. Etwas über Bienen zu erzählen ist auch ein Ansatz für besseres Naturverständnis zu werben.
Im Vordergrund des öffentlichen Umweltdiskurses stehen nach wie vor die vielfältigen Formen der Umweltzerstörung. Doch die grundsätzlichere zivilisatorische Katastrophe dahinter heißt “Entfremdung von Natur”. Und die ist vor allem bedingt durch die Sozialisation unserer Kinder in modernen urbanen durchtechnisierten Lebenswelten und einer zunehmenden Medialisierung unseres Alltags.
An die Stelle einer unmittelbaren kindlichen Erfahrung mit Natur sind nicht erst seit gestern Begegnungen mit kitschigen und vermenschlichenden Tierbildern gerückt, die auf den Bambieffekt setzen, aber mit realer Natur so gut wie gar nichts mehr zu tun haben. Im Falle der Honigbiene prägt die “Biene Maja” die idyllische und verkitschte Vorstellungswelt der Kinder. Als Sympathieträgerin für die Bienen kann man darin vielleicht noch etwas Positives sehen. Aber spätestens wenn Wespenstiche auf den Schulhöfen zu dem Aufschrei führen: “Eine Biene hat mich gestochen!” fällt die Sympathiekurve für die Nektarsammlerinnen ins Bodenlose.
Majas mediale schwarz-gelb Zeichnung hat dazu geführt, dass oft selbst Schüler der Mittel- und Oberstufen noch nicht einmal eine Biene richtig bestimmen können. Studien zum Bambieffekt haben belegt, dass 92% der Kids tatsächlich davon überzeugt sind, dass Bienen schwarz-gelb gestreift sind. Wissensdefizite dieser Art sind symptomatisch und nicht nur auf die Biene beschränkt. Man mag es kaum glauben, aber 62% unserer Kinder sind der Meinung, das Reh sei die Frau vom Hirsch. Erschreckend sind auch die Ergebnisse, die der Jugendreport Natur schon 2010 über die Naturkenntnisse von 6.- und 9. Klässlern analysiert hat. Zwar glauben Kinder nicht mehr an die “lila Kuh”, dafür aber wissen nur 21% ganz sicher, dass Kühe keine H-Milch geben. Auf die Frage “Wie viele Eier legt ein Huhn pro Tag?” liegt der Mittelwert der gegebenen Antworten bei 3,1 Stück als Tagesleistung des Federviehs.
Solche Kenntnislücken bei Kindern verweisen auf eine problematische “Natursozialisation”. Als reine Fehlinformation sind sie relativ schnell zu beseitigen, schneller jedenfalls als die infantilen, auf Harmonie und Konfliktlosigkeit getrimmten, vermenschlichten Tier- und Naturvorstellungen, die Kinder sich über unsere modernen Medienprodukte aneignen.
Wenn heute eine ganze Generation von echten Naturerfahrungen abgeschottet wird, wird es in Zukunft schwierig werden, einen wirkungsvollen Natur- und Umweltschutz als existenziell notwendige und ethisch gebotene Pflichtaufgabe der Gesellschaft durchzusetzen.
Der amerikanische Autor und Umweltaktivist Richard Louv hat für den bedrohlichen Verlust an Naturwahrnehmung einen Begriff kreiert: NDS – Nature Deficit Syndrom. In der Einleitung zu seinem Buch “Das letzte Kind im Wald” schreibt er: “Als Junge wusste ich nicht, dass mein Wald mit allen anderen Wäldern ökologisch vernetzt war. Niemand sprach in den fünfziger Jahren über sauren Regen, Ozonlöcher oder globale Erwärmung. Aber ich kannte meinen Wald und meine Felder. Ich kannte jede Bachbiegung und jede Kuhle in den ausgetretenen Sandwegen. Selbst in meinen Träumen war ich in diesem Wald unterwegs.” Ein Kind heute, so seine Klage, weiß mehr über den Regenwald und dessen Gefährdung als über die Natur in seiner unmittelbaren Umgebung.
Die Dimension Natur als enorm wichtiger Selbsterfahrungs- und Erlebnisraum für Kinder ist nicht nur in Amerika zunehmend verloren gegangen. Die Tatsache, dass es im Freien keine Steckdosen gibt, ist dabei nicht der einzige Grund für die zunehmende Entfremdung der Heranwachsenden von der Natur.
Eine unbegründete, hysterische und angstbestimmte Überbehütung durch die Generation der Helikoptereltern trägt wesentlich zur wachsenden Distanz unserer Kinder zur Natur bei. Medien und Gesellschaft verstärken diese Tendenz: “ Unsere Institutionen, unsere urbanen/suburbanen Lebensräume und unsere kulturelle Einstellung verbinden unbewusst Natur mit Untergang – während der Aufenthalt im Freien von Freude und Alleinsein abgekoppelt wird. Sie bringen jungen Menschen bei, jede direkte Erfahrung mit der Natur zu vermeiden. Schulen, Medien und Eltern verscheuchen die Kinder geradezu aus Wäldern und Wiesen.“ klagt Richard Louv.
Eine Erziehung, die “vor allem darin besteht, Kinder ständig zu überwachen, zu bespielen und, meist mit dem Auto, nachmittagelang von einem Event zum nächsten zu kutschieren: von musikalischer Früherziehung zu Chinesisch, Englisch, Spanisch, zum Judo-Training, dann vielleicht noch ein paar Stunden zur Therapie wegen des ADS-Syndroms – das Aufmerksamkeitsdefizit, das die vielbeschäftigten Kinder auch noch in Atem hält”, hat nachhaltig negative Folgen für die Persönlichkeitsentwicklung und auch für unser Verhältnis zur Natur. Ungewollt arbeiten die auf kindliche Frühförderung fixierten Eltern, die ihrem Nachwuchs einen vorderen Platz in einer globalen Wettbewerbsgesellschaft sichern wollen, einer Entwicklung zu einer autonomen und starken Persönlichkeit entgegen. ”Zu viel Kontakt mit der Wirklichkeit, der auch Scheitern und Schmerz beinhalten kann, würde diese durchorganisierte Matrix zusammenbrechen lassen. Also geht man Erfahrungen mit Wildheit und Wildnis besser aus dem Weg, versperrt klassische kindliche Erfahrungsräume.” beschreibt der Biologe und Naturphilosoph Andreas Weber die neue zivilisatorische Katastrophe
Dass es auch anders geht, weiß ich aus eigener Erfahrung mit meiner Enkelin. Während noch 70% der Erstklässler glauben, dass Enten gelb sind, hat sie die Frage nach der Entenfarbe aus o.g. Report bereits als Dreijährige richtig beantwortet. Schließlich hat sie oft genug die Enten auf einem nahe gelegenen Badesee gefüttert. Sie hat nicht nur erkannt, dass es unterschiedliche Arten von Enten mit vielfältigen Färbungen des Federkleides gibt. Sie hat beobachtet, dass die Tiere um das Futter streiten, und gar nicht so lieb sind, wie sie in den verniedlichenden Kinderbüchern dargestellt werden. Sie weiß aus eigener Anschauung, dass Katzen Mäuse fangen, töten und fressen, und hat davon keine Alpträume bekommen. Unsere Katze hat sie auch schon mal “gekniffen” und gekratzt, als das Kind zu aufdringlich wurde. Trotzdem ist das ansonsten freundliche Tier noch ihre “beste Freundin”. Sie hat natürlich schon einen Kuhstall von innen gesehen, gehört, gerochen. Sie ist über das laute Muhen erschrocken, hat die Bauern beim Melken beobachtet, das nasse Maul eines Kälbchens gefühlt, ist flüchtenden Hühnern nachgelaufen, … . Sie kennt auch die kleinen Tiere, Vögel, Eidechsen, Frösche, hat schon Regenwürmer “gefunden”, kennt eine Vielzahl von Pflanzen. Die Oma hat ihr gezeigt und erklärt, welche essbar sind und welche nicht. Ihre kindlichen Lern- und Erfahrungsorte sind nicht nur Wohnung, Kinderzimmer, Kindergruppe und Einkaufsstraße. Sie liegen auch in der Natur und heißen Garten, Park, Wiese, Strand, Wald, Seeufer, Pfütze … .
Natürlich habe ich mit meinem Enkelkind schon beobachtet, wie die Bienen den Nektar der Blüten aufsaugen und sie weiß auch, dass die Bienen daraus den Honig herstellen. Meine Enkelin liebt Geschichten, auch die Biene Maja kennt sie. Aber bald lese ich ihr die ersten Kapitel von Wilhelm Buschs wunderbarer Bildergeschichte “Schnurrdidurr oder die Bienen”. Daran kann man einem Kind schon wunderbar viel Bienenwissen vermitteln, ihm zeigen, dass Bienen die Pflanzen bestäuben, dass es im Bienenstock eine Königin gibt, aber auch dass Bienen stechen und dass man sich davor schützen kann.
Buschs Bienenkosmos ist besser geeignet als Bonsels trotzköpfiges Bienenmädchen, um Kindern die Welt und die Natur zu erschließen. Im Garten und auf Spaziergängen zeige ich ihr die Pflanzen, die von den Bienen beflogen werden. Ich möchte mein Enkelkind so vorbereiten auf ihr erstes Abenteuer mit Bienen.
In diesem Sommer will ich ihr einen geöffneten Bienenstock zeigen, mit ihr eine bienenbesetzte Brutwabe oder Honigwabe herausziehen, das geschäftige Treiben der Arbeiterinnen beobachten, sie Honig mit dem Finger aus der Wabe herauslöffeln lassen.
Natürlich werde ich sie schützen, sie wird einen Bienenschleier für Kinder und Handschuhe tragen. Sie soll lernen, dass man den Tieren mit Respekt und kluger Vorsicht begegnen soll. Ich will ja, dass sie ihr erstes Bienenabenteuer positiv erlebt. Sie wird den Blasebalg des Smokers drücken und tüchtig Dampf machen, den Duft meines “Bienentabaks”, ein Gemisch aus getrockneten gutriechenden Kräutern, riechen und ich freue mich darauf, ihre Kinderfragen zu beantworten.
Weil ihr Opa Hobbyimker ist, ist meine Enkelin in dieser Beziehung im Vorteil. Aber es gibt sicher auch viele Imkerkollegen, die Kinder auf ihre Weise gerne an die Bienen heranführen und ihnen erklären, was die Bienen tun und warum sie so wichtig sind.
Auch für die Imkervereine gilt, dass gezielte Jugendarbeit ein Stück Zukunftssicherung bedeutet, die weit über die Sicherung des Imkernachwuchses hinaus geht.