Per Anhalter durch die Blütenpracht
Hinterlasse einen Kommentar20. Mai 2019 von Marzellus
Beim Wort Milbe fällt dem Imker in der Regel die Varroamilbe ein, die seine Bienen peinigt. Aus Asien 1971 für Zuchtversuche eingeschleppt, gilt sie als der Staatsfeind Nummer eins für unsere Bienenvölker. Aber die Welt der Milben ist vielfältig und vielschichtig wie alles im Netzwerk der Natur.
Als Untergattung der Spinnenartigen bilden Milben im Tierreich mit 546 Familien und über 50.000 fast die Hälfte dieser Klasse. Zum Vergleich: Das sind so viele Milbenarten wie es Fischearten auf der Erde gibt. Die hierzulande größte und unter uns Menschen gefürchtetste Milbe ist die Zecke, allen voran der Gemeine Holzbock, der die Borrelliose überträgt. Die meisten Milbenarten sind für das menschliche Auge nicht mehr wahrnehmbar. Bei Körpergrößen von 0,1 bis 4,5 Millimeter entdecken wir die kleinen Spinnentiere oft nur, wenn wenn wir ein Vergrößerungsglas zur Hand nehmen oder ein Mikroskop. Manchmal, wie bei meinem Schnappschuss einer Fruchtfliege, entdeckt man sie auch zufällig bei Makroaufnahmen.
Offenbar handelt es sich bei dem gezeigten Milben-Exemplar um eine „phoretische“ Milbe. Das Wort leitet sich ab von von gr. φορείν phorein „tragen“. Im Bilddokument setzt sich die Milbe einfach auf das Hinterteil der Schwebfliege, um sich so per Flugtaxi zur nächsten Blüte bringen zu lassen, wo sie sich dann von den Pollen ernährt.

Phoresie: Schwarzkäfer Bolitophagus reticulatus mit Milben, die den Käfer als Transportwirt benutzen. Quelle: Wikipedia
Phoresie ist unter den fußlahmen Milben ziemlich verbreitet. Nicht nur Bienen oder Fruchtfliegen leisten solche unfreiwilligen Shuttledienste. Wie das auf der Wikipedia zu findende Foto zeigt, nutzen Milben zum Beispiel auch Käfer wie einen Omnibus, um von Nahrungsquelle zu Nahrungsquelle zu tingeln.
Auch die Varroamilbe ist ein solcher „Transportparasit“, wie Biologen diese Form von Schwarzfahrern im Tierreich nennen. Neben der Wanderimkerei und dem Handel mit Bienenvölkern hat sich auch der Bienenschädling mit diesem typischen Reiseverhalten seit 1971 innerhalb weniger Jahre über ganz Europa und Südamerika verbreitet. Doch leider plagt Varroa die Bienen und ihre Brut leider vor allem als echter Parasit, der wie eine Zecke vom Blut von der Hämolymphe der Insekten lebt. Im Verhältnis zur Körpergröße der Bienen ist diese „Zecke“ allerdings so groß wie ein Kaninchen im Verhältnis zum Menschen.
Die Phroresie als solche , bei der das eine Tier das andere vorübergehend zum Transport benutzt, schadet dabei dem Fluginsekt nicht. Manche Milbenarten schicken auch ihre Nymphen per Tier-Taxi auf Reisen. Von der Evolution sind diese Wandernymphen mit einem Haftorgan ausgestattet. Sie kleben sich damit an ihrem Fahr- oder Flugdienstleister fest und verbringen dort ihre komplette Jugendphase als blinde Passagiere. Wasser und Nahrung brauchen sie dabei nicht, obwohl dieses Wanderstadium Monate dauern kann.
Milben besiedeln fast alle Lebensräume, von der Tiefsee bis in die Gezeitenzonen, von den Wasser-Quellen der Gebirge bis hin zu Wüstenhabitaten. Rund die Hälfte der bekannten Milbenarten lebt im Boden. Auf einem Quadratmeter gesundem Boden leben mehrere 100.000 Exemplare der kleinen Krabbeltiere. In Deutschland kommen im Bodenhorizont von 0-30 cm etwa 2500 Arten vor. Die meisten sind Hornmilben, die als Primärzersetzer den Abbau organischer Substanzen wie Laub oder Kot beschleunigen. Viele sind ausgesprochene Vegetarier, die sich von Pflanzen oder Pilzen ernähren, und wiederum andere leben von Aas. Die häufig stark gepanzerten und größeren Raubmilben machen Jagd auf Fadenwürmer und Springschwänze.
Kein Ort, den Milben sich im Laufe der Evolution nicht schon erobert hätten: Unsere Wohnungen, Betten, Fußböden, ja sogar unsere Körper sind für sie willkommener Lebensraum. Sie leben im Hausstaub, parasitieren den Menschen als Haarbalgmilben, die bei zu starkem Befall Hautkrankheiten und Allergien auslösen können. Sie dringen in die Lungen von Affen ein, besiedeln die Nasenlöcher von Vögeln und die Tracheenöffnungen von Insekten oder belästigen als penetrante Blut- und Hämolymphesauger Vögel. Als „Bienenläuse“ oder Varroamilben parasitieren sie Insekten wie Bienen und Hummeln. Alle Säugetiere, selbst Fische, Amphibien, Schnecken und sogar die eigenen Verwandten, die Spinnen werden von ihnen befallen.
Und dann ist da noch der Würwitzer Milbenkäse, dem Tyrophagus casei , eine domestizierte Käsemilbe, sein einzigartiges Aroma verleiht. Mit bloßem Auge ist das 0,5mm große Krabbeltier nicht zu erkennen, in Masse hingegen schon. Ungefähr 50.000 dieser Winzlinge tummeln sich in einer Packung der ungewöhnlichen Käsespezialität. Der Käse reift in Kisten heran, die von Millionen Käsemilben bevölkert sind. Von weitem sieht diese Masse wie brauner Zucker aus. Bei genauerem Hinsehen erkennt man: Die Masse bewegt sich! Der Käse wird nach einem mittelalterlichen Rezept wie ein klassischer Handkäse hergestellt. Dann kommt er in das Milbenkiste. In dem Biotop a la cárte bleibt er dann bis zu einem halben Jahr. Dann haben die Ausscheidungen der Käsemilben und die Abwehrsekrete, die beim täglichen Öffnen und Wenden der Käsestücke entstehen, dem Käse seinen Geschmack gegeben. „Sein Genuss soll gegen Hausstaubmilbenallergie helfen, die Verdauung anregen und die Liebe beflügeln. Besonders im Mittelalter schätzten Kenner Milbenkäse als wohlschmeckendes Aphrodisiakum.“ behaupten die Hersteller aus dem sachsen-anhaltischen Burgenlandkreis. Die Milben werden selbstverständlich mitgegessen. Na dann: Wohl bekomm’s!
Bildquelle:
1. Foto: Eigenes Werk
2. Foto: Von Siga – Eigenes Werk, CC BY-SA 4.0, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=57057750