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Bienenintelligenz

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18. Dezember 2018 von Marzellus

Der große bayerische Bienenforscher Enoch Zander machte bei seinen Forschungen zur Kommunikation von Honigbienen einmal ein ungewöhnliches Experiment. Er nahm eine Biene aus einem Volk, das nahe an einem großen See stand, und ruderte mit ihr zur Seemitte, wo er sie mit einer Zuckerlösung fütterte. Wie für Bienen üblich, flog sie sofort zu ihrem Bienenvolk zurück um dort zu melden, dass es draußen mitten auf dem See eine gute Futterquelle gebe. Entgegen der normalen Reaktion, flogen die darüber unterrichteten Artgenossinnen nicht sofort los, um das angebotene Futter in den Stock zu transportieren. Im Gegenteil, keine einzige Sammlerin machte sich auf den Weg zum Boot in der Seemitte.

Was folgt daraus? Offensichtlich nahmen die Insekten ihre Kollegin nicht ernst, weil die Botschaft von einer nahen Futterquelle auf der Wasserfläche für ihren gesunden “Bienenverstand” nicht glaubwürdig war.

Sind Honigbienen also intelligent, weil sie gerade nicht “mechanisch” auf einen ausgelösenden Reiz reagierten, sondern die Nachricht ihrer Kollegin für reichlich abstrus und unwahrscheinlich hielten?

Definiert man Intelligenz als die Fähigkeit abstrakt und vernünftig zu denken und daraus zweckvolles Handeln abzuleiten, gibt die Beobachtung Zanders uns Anlass, neben Primaten, Delfinen, Elefanten, Schweinen und Raben und wahrscheinlich noch unzähliger anderer Tiere aus allen Artengruppen auch die Honigbiene zum Kreis der intelligenten Lebewesen zählen.

Ein zweites Beispiel für Bienenintelligenz: Erst kürzlich haben Forscher der University of Melbourne nachweisen können, dass Honigbienen ein menschenähnliches Verständnis für Zahlen haben. Forscher trainierten zunächst Bienen darauf, jeweils das Bild mit der niedrigsten Zahl an Punkten darauf anzufliegen. Dort wartete dann immer eine Belohnung. Die Insekten hatten dabei jeweils die Wahl zwischen zwei verschiedenen Punktmengen zwischen 1 und 4. Für die Honigbienen war dies kein Problem: Schon nach wenigen Durchgängen steuerten 80 Prozent von ihnen zielsicher den jeweils niedrigeren Zahlenwert an – und erhielten Zuckersaft als Belohnung

Danach boten die Forscher den Bienen eine Karte ohne Punkt und eine Karte mit einem Punkt zur Entscheidung an. Spontan flogen 63 % der Bienen die leere Karte an, ohne dass sie das trainiert hatten. Das Fazit des Experiments: Bienen haben ein Verständnis dafür, dass Null kleiner ist als Eins.  Auch als die Honigbienen zunächst nur mit zwei bis fünf Punkten trainierten und später zwischen den zwei ihnen noch unbekannten Werten 1 und 0 wählen mussten: Auch dann, flog eine deutliche Mehrheit der Versuchsbienen korrekt das leere Blatt an. Bienen verstehen also, dass 0 kleiner ist als 1 und zeigen damit ein mathematisches Verständnis, zudem Menschenkinder erst ab vier Jahren fähig sind.

Adrian Dyer, Seniorautor der Studie mit dem Titel “Numerical ordering of zero in honey bees”, wird in dem Wissenschaftsmagazin Scinexx mit dem Satz zitiert:  „Die Null ist ein mathematisches Prinzip, das nicht einfach ist – selbst Kinder benötigen einige Jahre um es zu begreifen.“ Bei Rhesusaffen und Graupapageien kam man übrigens in ähnlichen Experimenten zu dem gleichen Ergebnis. Nicht nur Menschen haben ein Zahlenverständnis

Intelligenz gibt es auch unter Fischen. Fische sind alles andere als dumm und empfindungslos. Der amerikanische Verhaltensforscher Jonathan Balcome hat in seinem Bestseller “What a fish knows” zahlreiche wissenschaftliche Erkenntnisse zusammengetragen, die zeigen dass “unsere schwimmenden Cousins” intelligente Tiere sind, die zudem Freude und Schmerz empfinden.

Im Gegensatz zu den Honigbienen wissen wir bei Fischen in der Regel wenig mehr als wie sie schmecken und wie man sie fängt. Und als sei unser neues Wissen über intelligentes Leben jenseits des Menschen in Bezug auf tierisches Leben nicht schon erstaunlich genug, gehen ernstzunehmende Botaniker sogar von einer “Intelligenz der Pflanzen” aus. Das belegt der italienische Wissenschaftler Enrico Mancuso in seinem gleichnamigen Buch mit zahlreichen Beispielen aus der Welt der Pflanzen.

Der fortschreitende Erkenntnisstand der Lebenswissenschaften rüttelt mächtig an unserm  Glauben an die kognitive Überlegenheit des Menschen. Die scheinbar apodiktische Behauptung, wir Menschen seien die höchste irdische Lebensform wurde von Religion und Philosophie über Jahrtausende propagiert. Im Lichte neuerer Forschung erscheint sie als eine extreme Form der Selbstüberschätzung oder auch des Hochmuts gegenüber anderen Lebensformen.

Es wird Zeit, dass wir vor dem Hintergrund vielfältiger Formen tierischer Intelligenz unser Verhältnis zu den tierischen Mitbewohnern unseres Planeten neu bestimmen. Statt unbegründeter Selbstüberschätzung schulden wir den Geschöpfen dieser Welt Empathie und Solidarität schulden.

Wir dürfen nicht länger verdrängen , dass zur GVE (Großvieheinheit) oder KVE (Kleinvieheinheit) degradierte empfindsame und leidensfähige Lebewesen für unseren übertriebenen Fleischkonsum ein erbärmliches, würdeloses Leben führen müssen.

Millionen von Nutztieren vegetieren als lebende Fleischbanken. Sie führen ein trauriges Dasein,   in ihrem trostlosen Leben sehen sie oft nicht ein einziges Mal den offenen blauen Himmel.

Wie können wir zulassen, dass Milliarden von Fischen einen grausamen Erstickungstod leiden, lebend im Eis landen, zerquetscht werden oder völlig unnötig getötet werden, weil sie als “Beifang” in den Fangnetzen der Fischereiindustrie landen und schwer verletzt oder tot wieder über Bord geworfen werden?

Wir müssen aufhören, die Lebensräume wild lebender Tiere zu zerstören. Eine moralische Verantwortung haben wir nicht nur gegenüber unseren Kindern und Kindeskindern, sondern auch für unsere Mitkreaturen.

Die alte, falsche Ideologie des “Dominium Terrae”, der Herrschaft des Menschen über die Kreaturen der Schöpfung, wie sie unsere christlich-jüdische Kultur seit Jahrtausenden predigt, muss neu interpretiert werden, und sie muss wieder in ihrem ursprünglichen Sinn gelebt werden.

Wir haben keinen “göttlichen” Auftrag, uns die Erde untertan zu machen. Bibelwissenschaftler weisen zurecht darauf hin, dass das hebräische Wort “radah” in seiner Bedeutung als “herrschen, unterwerfen oder zum Untertanen machen” eine glatte Fehlübersetzung ist, die für die misshandelte Natur bis heute schlimme Konsequenzen hat. Für das Hirtenvolk der Israeliten bedeutete “radah” “sich um seine Herde kümmern”. Der Lapsus Linguae hat der brutalen Ausbeutung der Natur durch den Menschen in unserer westlichen Kulturgeschichte den ideologischen Überbau gegeben.

Wir Menschen sind miserable Hirten und deshalb schlechte Hüter unseres Planeten. Das Negativbeispiel eines Hirten liefert uns eine weitere Bibelstelle aus dem alten Testament; “ Weh den Hirten Israels, die nur sich selbst weiden. Müssen die Hirten nicht die Herde weiden? | Ihr trinkt die Milch, nehmt die Wolle für eure Kleidung und schlachtet die fetten Tiere; aber die Herde führt ihr nicht auf die Weide.  | Die schwachen Tiere stärkt ihr nicht, die kranken heilt ihr nicht, die verletzten verbindet ihr nicht, die verscheuchten holt ihr nicht zurück, die verirrten sucht ihr nicht und die starken misshandelt ihr. | Und weil sie keinen Hirten hatten, zerstreuten sich meine Schafe und wurden eine Beute der wilden Tiere.” heißt es im Buch Ezechiel Ez 34,2 – 34,5.

Das Ethos des israelitischen guten Hirten findet sich auch in der bäuerlichen Kultur vergangener Zeiten wieder. Ein wunderbares Beispiel für einen (ehemals) respektvollen Umgang mit unseren Mitkreaturen ist das Gedicht „To a mouse on turning her up in her nest with a plough“

Darin beschreibt der schottische Nationaldichter Robert Burns einen Bauern, der voller Mitgefühl für eine Maus ist, deren Nest er gerade beim Pflügen zerstört hat. Seine ungewöhnliche Einstellung zu seiner „Mitkreatur“ ist erstaunlich. Sie geht über die Liebe und den Respekt für die eigenen Nutztiere hinaus.

I’m truly sorry man’s dominion | Has broken Nature’s social union,| An‘ justifies that ill opinion | Which makes thee startle | At me, thy poor, earth born companion | An‘ fellow mortal!

“Es tut mir aufrichtig leid, dass die Herrschaft des Menschen die soziale Einheit der Natur zerbrochen hat. Und  er rechtfertigt diese kranke Ansicht. Deshalb erschrickst du vor mir, deinem armen, erdgeborenen Kameraden und sterblichen Gefährten.”

Burns, ein Dichter mit bäuerlichem Hintergrund, hat diese Verse 1785 in der Frühphase der industriellen Revolution geschrieben. Damals begannen die Menschen in Großbritannien in Scharen die ländlichen Regionen zu verlassen. Sie suchten in den sich entwickelnden Industriestädten Arbeit und Brot um allzu oft Verelendung und Hunger zu finden. In dieser Zeit liegen auch die Anfänge der Entfremdung des modernen Menschen von der Natur.  Burns registriert diesen Bruch und bewertet ihn als eine „kranke Ansicht“. Seine Idee einer Sozialunion zwischen Mensch und Kreatur sieht in der Maus nicht den Schädling und den Nahrungskonkurrenten. Burns´ Bauer gönnt der Maus den winzigen Anteil, den das Tier von seiner großen Ernte beansprucht: „What then? poor beastie, thou maun live!“ (Was soll´s? Armes Tierchen, auch du willst leben!)

Erst heute, nach 230 Jahren „Fortschritt“, erkennen wir allmählich, dass die anhaltende Ökonomisierung unseres Lebens, unser Konsumverhalten und die rücksichtslose Ausbeutung unserer Umwelt unsere eigene Zukunft existenziell bedrohen. Am Ende werden wir die armen, ausgestoßenen, erdgeborenen Kreaturen sein, weil wir die naturgegebene Sozialunion mit unseren Mitkreaturen gekündigt haben.

Den Mäusen ihr Körnchen Getreide gönnen, Mitgefühl entwickeln, wenn eine Kreatur in Not ist, weil sie ihr Winterquartier verliert, ihre existenzielle Angst vor einer erbarmungslosen Natur spüren und dafür Empathie und Solidarität  entwickeln, das ist die Gegenposition des Schotten zu unserer heutigen Naturferne. Burns Botschaft ist sehr aktuell. Sie kann uns eine neue Orientierung im Umgang mit unseren Mitkreaturen und unseren natürlichen Lebensgrundlagen geben.

Was Burns Maus mit den Menschen verbindet, gilt in besonderem Maß auch für das Verhältnis zwischen Bienen und Menschen. Am Beispiel der Honigbiene lässt sich zeigen, dass wir mit unserer hemmungslosen und kurzsichtigen Ausbeutung der Natur sogar solche Kreaturen in ihrer Existenz bedrohen, denen wir bekanntlich „mehr als Honig“ verdanken. Wir sind es, die von ihrem Fleiß und ihrem Trieb, Wintervorräte im Überfluss anzulegen profitieren . Aus der Perspektive der Bienen sind wir Honigdiebe, die mehr als nur einen Bruchteil ihrer Ernte stehlen.

Gerade erst lernen wir von den Bienen eine wichtige Lektion: Wir sind abhängig von unseren Mitkreaturen, und auf Dauer würden wir ohne Bienen nicht überleben, denn ohne sie wäre der lebensspendende natürliche Lebenszyklus von der Blüte zur Frucht unterbrochen, mit  verheerenden Folgen. „Bienensterben“ ist leider ein erschreckend realistisches Katastrophenszenario geworden, das den Menschen existenziell bedroht. Robert Burns hat das schon lange kommen sehen:

„Die besten Pläne der Mäuse und Menschen scheitern häufig und lassen uns statt versprochener Freuden nur Trauer und Tränen.“ Wie recht Burns doch gerade heute hat. Der Zeitpunkt ist längst gekommen, an dem wir „armen Menschen“ unser Scheitern erkennen müssten.

Ein Kommentar zu “Bienenintelligenz

  1. Dankeschön auch für den Rückblick auf Robert Burns – er wird nun 260. Viele Grüße

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