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Schwarmfangrituale

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15. November 2018 von Marzellus

Wie fängt man einen Bienenschwarm? Man nehme eine unbequeme Körperhaltung ein, greife eine Handvoll Erde, die man über den Schwarm wirft, und spreche einen altenglischen Zauberspruch!

Und der lautet so:

Zu einem Bienenschwarm nimm Erde, wirf sie mit | deiner rechten Hand unter | deinem rechten Fuß und sprich: | Greife ich unter den Fuß, finde ich es. | Ja, die Erde hat Macht gegen jedes Wesen | und gegen den Ärger und gegen die Vergesslichkeit | und gegen die Zunge des mächtigen Mannes. | Und nun wirf Sand über sie, wenn sie | schwärmen, und sprich: | Setzt euch, siegreiche Frauen, sinkt zu Boden! | Niemals sollt ihr wild zum Wald fliegen. | Seid ebenso bedacht meines Besitzes, | wie ein jeder Mensch ist, der Speise und der Heimat hat.

(Originaltext: Wið ymbe nim eorþan, oferweorp mid | þinre swiþran handa under | þinum swiþran fet, and cwet: | Fo ic under fot, funde ic hit. | Hwæt, eorðe mæg wið ealra wihta gehwilce | and wið andan and wið æminde | and wið þa micelan mannes tungan. | And wiððon forweorp ofer greot, þonne hi | swirman, and cweð: | Sitte ge, sigewif, sigað to eorþan! | Næfre ge wilde to wuda fleogan. | Beo ge swa gemindige mines godes, | swa bið manna gehwilc metes and eþeles.)

Neben dem „Lorcher Bienensegen“[1] gehört ein altenglischer Bienenzauber aus der Zeit der Angelsachsen zu den bekanntesten Sprachdenkmälern des frühen Mittelalters, in denen es um Bienen geht. Wenn man möchte, kann man in der „Zauberformel“ Spuren von vorchristlichem, altgermanischem Glauben finden.

Im Mittelteil des Zauberspruchs wird die „Allmacht“ der Erde angesprochen.Das  erinnert an „Nerthus“, die germanische Erdgottheit, von der der Römer Tacitus schreibt, dass diese „eingreife in der Menschen Leben und in der Völker Mitte fahre.“

Und hinter dem Wort „Sigewif“, in der deutschen Übersetzung „Siegreiche Frauen“, könnte sich eine Anspielung auf die „Walküren“ verbergen. In der germanischen Mythologie begleiteten diese germanischen „Todesengel“ die Kämpfer in die Schlacht und die Seelen der Gefallenen nach Walhalla. Sie waren Gestaltwandlerinnen, und konnten gerne auch mal als Bienen aktiv werden.

Der vordergründig praktische Wert der seltsamen Formel liegt bestenfalls im Bewerfen eines Bienenscharms mit Erde oder Sand. Möglicherweise sehen die Bienen darin einen Regen- oder Hagelschauer, vor dem sie ihre Königin schützen wollen.

Was den sonstigen Inhalt des altenglischen Textes betrifft, sollten wir modernen, „aufgeklärten“ Menschen uns über den frühmittelalterlichen „Humbug“ jedoch nicht zu allzu schnell erheben. Erinnert das Zauberritual nicht auffallend an eine Beobachtung, die Konrad Lorenz bei einer seiner Graugänse gemacht hat und die er als „Ritualisierung“ bezeichnet hat?

Eine Junggans, überwand ihre Angst, eine Treppe hinaufzugehen. Dort musste sie einen Bogen machen, um einem Gegenstand auszuweichen. Als der Gegenstand später weggeräumt war, machte das Federvieh trotzdem jedesmal diesen „Umweg“. Einmal vergaß das Tier seinen Bogen, kehrte aber mit einem Angstlaut auf dem Schnabel um, trippelte ihren gewohnten Umweg und ging danach sichtlich beruhigt weiter. Ihre Erfahrung, gefahrlos eine Treppe zu meistern, war also offensichtlich an ein Verhaltensritual gebunden, das sie mit Gefahrlosigkeit verband und das ihr Sicherheit gab.

Auch wenn die oben zitierte Zauberformel in Kombination mit der Hand unterm Fuß in Bezug auf den Schwarm nicht wirklich geholfen haben wird, so hat dieses „rituelle“ Verhalten wohl aber dem Schwarmfänger etwas gebracht. Aus der Psychlogie weiß man, dass individuelle und kollektive Rituale uns Menschen helfen, wiederkehrende Alltagssituationen sicher zu meistern. Imker sind da eingeschlossen.

Jetzt geht er übers Kirchendach;
Krach! – schießt der Förster hinten nach.

Ich kann mir nur schwer vorstellen, dass ein frühmittelalterlicher, angelsächsischer Schamane oder Druide herbeigerufen werden musste, wenn es darum ging, einen Bienenschwarm einzufangen.

Für mich ist der altenglische Zauberspruch deshalb ein in Worte gefasstes und religiös aufgeladenes Imkerritual. Oder es ist einfach nur ein Merkspruch, wofür die Zeile spricht, dass die Erde „Macht gegen den Ärger und die Vergesslichkeit“ habe, oder auch beides.

In der Neuzeit hat man sich abgewöhnt, Sprüche aufzusagen, wenn man einen Bienenschwarm fangen will. Trotzdem gibt es in der imkerlichen Praxis unsinnige Handlungen bis hinein in unsere aufgeklärte Gegenwart, die nur als „Ritualisierung“ verstanden werden können. Einen Schwarm mittels Schlagen einer Sense oder durch einen Gewehrschuss zu bannen, macht angesichts der Tatsache, dass Bienen kein eigenes Hörorgan haben, nicht wirklich Sinn. Wilhelm Busch, selbst sachkundiger Imker, hat eine Reihe solcher, aus praktischer Sicht wenig plausibler „Schwarmfangrituale“ in seiner Bildergeschichte „Schnurrdiburr oder die Bienen“ aufgezeichnet.

Und wie ist das bei den Bienen?

In der Forschung trifft man immer wieder auf Hypothesen, wonach die Bienentänze bei der Lokalisierung von Futterquellen, der Drohflug bei der Abwehr von Honigdieben oder der Schwirrflug beim Schwarmverhalten der Bienen ihren Ursprung in Zufallsereignissen haben, die sich im Laufe der Evolution zu festen Ritualen entwickelt haben.
Schön zu sehen, dass Menschen und Bienen sich auch im Gebrauch von Ritualen ziemlich ähnlich sind.

 

Interessante Links:

Vollständige praktische Anleitung zur Bienenzucht: auf 50 järige Erfahrung getützt von G. M. Dinkel (1830)

Schwarmfangrituale; Wilhelm Busch: Schnurrdiburr oder die Bienen

gute Quelle von Methoden zum Schwarmfang

Bild: Historische Darstellung des Schwarmeinfangens, 1695

Bis heute spritzen Imker kaltes Wasser aus einer Sprühflasche auf einen niedergelassenen Schwarm, bevor sie, mit Bienenbesen und Fanggefäß bewaffnet, die flüchtigen Bienen einsammeln, um sie dann in einem bereitgestellten Bienenkasten „einzulogieren“. Diese Regensimulation zeigt als einziges Verfahren Wirkung.

Schwärmende Bienen sind friedlich und greifen keine Menschen an. Zum Einfangen eines Bienenschwarmes braucht man deshalb nicht unbedingt eine Schutzkleidung. Dennoch sollte man Schutzkleidung tragen (lange Ärmel, Schleier, Handschuhe), wenn man einen Schwarm einfangen will, der oberhalb des Fängers sitzt. Beim Abschütteln des Schwarmes können Bienen daneben fallen, sich in den Haaren verfangen, in den Kragen hinein purzeln usw. In solchen Situationen stechen auch die friedlichsten Bienen.

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