Von wegen bienenfleißig
Hinterlasse einen Kommentar6. August 2018 von Marzellus
Es muss einen nicht wundern, dass wir Menschen Bienen als Inbegriff von Fleiß und unermüdlichem Schaffen sehen. Ein Blick in das Gewusel einer geöffneten Bienenbeute genügt, und man ist überzeugt. Doch der Schein trügt. Der Mythos vom ¨Bienenfleiߨ ist wissenschaftlich schon lange widerlegt.
Sicher ging es dem renommierten Bienenforscher Martin Lindauer nicht darum, den Nimbus der ¨emsigen Brutpflegerin¨ und ¨unermüdlichen Honigsammlerin¨ zu entzaubern, als er den Tagesablauf einer einzelnen Arbeiterbiene untersuchte. Schon der nüchterne Name der beobachteten ¨Biene 107¨ verrät ja methodische und wissenschaftlich seriöse Verhaltensforschung.
Das Ergebnis eignet sich überraschend als wissenschaftliche ¨Anekdote zur Senkung der Arbeitsmoral¨. Biene 107 verbrachte mehr Zeit mit andern Dingen als der ihr zugewiesenen Aufgabe. Dem Forscher fiel auf, dass sein Forschungsobjekt ziemlich viel herumwanderte. Vierzig Prozent der Zeit verbrachte sie mit Nichtstun.
Das Herumwandern deutete der Wissenschaftler als „eine Art Hausüberwachung, die es der Biene erlaubte, unmittelbar Bedürfnisse zu bemerken und ihre Zeit entsprechend abzustimmen“. Tatsächlich sind Bienen gar nicht so starr auf die ihrer Entwicklung entsprechende Aufgabe fixiert. Flexibel springen sie dort ein, wo Hilfe gebraucht wird.
Aber welchen Zweck oder biologischen Sinn hat das offensichtliche Herumlungern der Bummelbienen? Die Verhaltensforschung hat keine Erklärung. Möglicherweise hängt die Beobachtung Lindauers mit der Thermoregulation im Bienenstock zusammen. Bei der aktuellen Hitze verlassen ja viele Bienen besonders abends den Stock und hängen als Bienenbärte am Flugloch ab. Umgekehrt würde das ja vielleicht bedeuten, dass bei niedrigen Außentemperaturen vermehrt Heizer im Innern gebraucht werden.
Die Konzeption vom ¨Bienenfleiߨ wurzelt tief in unserer westlichen Kultur. Während in der Antike das ¨ Otium¨, das ¨Nichtstun¨, ein Privileg der Freien war und Arbeit die Bestimmung des Sklaven, hat die postantike, christlich-westliche Arbeitswelt nur wenig Verständnis für Faulheit und Müßiggang.
Dass ein arbeitsames Wesen auch Ruhe braucht, sei ein natürlicher Instinkt, meint Immanuel Kant: ¨ … die Natur hat auch den Abscheu für anhaltende Arbeit manchem Subjekt weislich in seinen für ihn sowohl als andere heilsamen Instinkt gelegt.¨ Doch der Müßiggang der Bienen ist offensichtlich mehr als ein instinktiver biologischer Überlastungsschutz. Mit Regeneration der Arbeitskraft ist das nicht zu erklären. Immerhin verschlafen Bienen 80 % der Nacht.
Lindauers Erkenntnis irritiert, denn sie widerspricht dem verbreiteten Fleißiges-Lieschen-Image der Honigbiene. Nach den Maßstäben der modernen Leistungsgesellschaft wären Bienen schlichtweg faul.
Lindauers Biene 107 belegt jedoch nur eins: Das Leben im Bienenstock eignet sich nicht unbedingt als Projektionsfläche für kapitalistische Arbeitsmoral.
Dabei hat der Hinweis auf den Bienenfleiß eine lange Tradition: Von alters her haben Menschen die Bienen wegen ihrer Geschäftigkeit bewundert. Die Mönche des Mittelalters haben die Honiginsekten diesbezüglich als Vorbilder gelobt . Der Gegenbegriff zum Fleiß, die Trägheit ( Acedia) galt als eine der sieben Hauptlaster. Benedikt von Nursias Mönchsmotto: ¨Ora et labora¨ hatte Strahlkraft weit über die mittelalterliche Ständegesellschaft hinaus.
Das ¨Prinzip Benedikt¨ wurde von Calvinisten und evangelischen Christen übernommen. Arbeit und Pflichterfüllung seien gottgewollter Lebenszweck. ¨Protestantische Arbeitsethik¨ hat der Soziologe Max Weber das Phänomen genannt, der Sozialist Paul Lafargue die ¨Religion der Arbeit¨.
Müßiggang sei aller Laster Anfang, heißt das verbreitete Credo unserer Epoche. Was keinen Zweck, kein Ziel hat, hat keinen Wert. Wer aussortiert wird, weil er keine Arbeit mehr findet erhält Hartz 4 und wird bespaßt.
Dabei bietet kultivierter Müßiggang mehr als nur Chancen für unsere Zukunft. Müßiggang sei der Anfang der Kultur, behauptet Miguel de Unamuno in seinem ¨Plädoyer des Müßiggangs¨(1916). Der spanische Philosoph und Schriftsteller weist uns auf die Paradoxie unserer modernen Arbeitsethik hin: „Der Mensch arbeitet, um Arbeit zu vermeiden, er arbeitet, um nicht zu arbeiten. Es ist unglaublich, welche Arbeiten der Mensch auf sich nimmt, nur um nicht arbeiten zu müssen.“
Hermann Hesse begreift Muße als Fundament und Vorraussetzung der Kunst. In einem Aufsatz aus dem Jahr 1904 beklagt er den Verfall der ¨Kunst des Müßiggangs¨ als ein Phänomen des ¨Kulturbankrotts¨ im Industriezeitalter. ¨Je mehr auch die geistige Arbeit sich dem traditions- und geschmacklosen, gewaltsamen Industriebetrieb assimilierte, und je eifriger Wissenschaft und Schule bemüht waren, uns der Freiheit und der Persönlichkeit zu berauben und uns von Kindesbeinen an den Zustand eines gezwungenen, atemlosen Angestrengtseins als Ideal einzutrichtern, desto mehr ist neben manchen andern altmodischen Künsten auch die des Müßiggangs in Verfall und außer Kredit und Übung geraten.¨
Die Auszeit der Bienen mit der Gegenkultur eines kreativen Müßiggangs zu instrumentalisieren ist dann am Ende auch wiederum müßig. Denn Kultur ist das, was den Menschen allein auszeichnet.
Seit zwei Jahrhunderen „schöpfen“ wir kollektiv nicht mit Klugheit und Umsicht unsere eigenen Welten, und die sind weit davon entfernt zu funktionieren, weil sie auf blinder „industria“ beruhen. Das lateinische Wort meint Fleiß oder Betriebsamkeit und hat unserer inzwischen globalen Epoche den Namen gegeben.
Unamuno, Hesse und Lindauers Biene 107 entlarven das einseitige und fragwürdige Arbeitsethos von Firmenchefs und Workoholics. ¨Apes debemus imitari¨ rät uns Seneca, ¨Die Bienen müssen wir nachahmen¨. Richtig! Das Bienenverhalten eignet sich schließlich auch als Metapher für Entschleunigung, Muße für Muse, selbstbestimmte geistvolle Aktivität und die Bildung der Persönlichkeit – kurz ¨Ein Recht auf Faulheit¨ und eine Wiederbelebung einer ökonomisch zweckfreien ¨Kultur des kreativen Müßiggangs¨. Danke, Biene 107.