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Die Dummheit der Gier

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13. Januar 2018 von Marzellus

Virgil_Solis_-_Deluge-1Einsteinzitate sind beliebt wegen ihrer hohen satirischen Treffsicherheit. Das liegt wohl daran, dass seine Genialität als Wissenschaftler sich ergänzt mit einer fundierten Menschenkenntnis. Aber das wunderbare Bonmot „Zwei Dinge sind unendlich, das Universum und die menschliche Dummheit. Aber beim Universum bin ich mir noch nicht ganz sicher.“ stammt wohl genauso wenig von ihm wie das ominöse Stirbt-die Biene-stirbt-der-Mensch Zitat.
Dass solche falschen Zitate bezüglich ihrer Urheberschaft fragwürdig sind, heißt aber noch lange nicht, dass sie nicht eine erschreckend wahre Kernaussage transportieren.

Bleiben wir zunächst einmal bei der Dummheit, von der Schiller behauptet hat, dass selbst Götter gegen sie vergebens kämpfen – zu den Bienen kommen wir erst später. Stellen wir uns also e`mal janz dumm und fragen wie einst Magister Bömmel: „Watt is eijentlich Dummheit?“ und greifen zum Duden. Der definiert Dummheit kurz und knapp als „mangelnde Intelligenz“, aber das greift sicher zu kurz. Ein Beispiel:

Der berühmte, durchaus auch berüchtigte Atomphysiker Edward Teller, würde am 15. Januar seinen 100 Geburtstag feiern. Die britische Zeitung „The Guardian“ hat über den Wissenschaftler ausgegraben, dass er in einem von der Mineralölwirtschaft organisiertem Symposium über das Thema „Mensch und Energie“ vor 300 Politikern, Wirtschaftskapitänen und führenden Wissenschaftlern bereits 1959 vor den Folgen globaler Erwärmung gewarnt hat. Hier ein Auszug aus seiner Rede:

„Meine Damen und Herren, ich möchte mit Ihnen über Energie in der Zukunft sprechen. Ich werde Ihnen zunächst sagen, warum ich glaube, dass die Energieressourcen der Vergangenheit ergänzt werden müssen. Vor allem werden diese Energieressourcen knapp, da wir immer mehr fossile Brennstoffe verwenden. Aber ich möchte […] noch einen weiteren Grund nennen, warum wir wahrscheinlich nach zusätzlicher Kraftstoffversorgung suchen müssen. Und das ist seltsamerweise die Frage der Kontaminierung der Atmosphäre. [….] Immer wenn man konventionellen Treibstoff verbrennt, erzeugt man Kohlendioxid. […] Das Kohlendioxid ist unsichtbar, es ist durchsichtig, man kann es nicht riechen, es ist nicht gefährlich für die Gesundheit, also warum sollte man sich darum kümmern? Kohlendioxid hat eine seltsame Eigenschaft. Es überträgt sichtbares Licht, aber es absorbiert die Infrarotstrahlung, die von der Erde emittiert wird. Seine Anwesenheit in der Atmosphäre verursacht einen Treibhauseffekt […] Es wurde berechnet, dass ein Temperaturanstieg, der einem Anstieg des Kohlendioxids um 10 Prozent entspricht, ausreicht, um die Eiskappen zu schmelzen und New York unter Wasser zu setzen. Alle Küstenstädte wären überflutet, und da ein beträchtlicher Prozentsatz der Menschheit in Küstenregionen lebt, denke ich, dass diese chemische Kontamination ernster ist, als die meisten Menschen glauben.“

Also, Dummheit ist in solchen Fällen ganz gewiss nicht fehlende Intelligenz, denn wer würde behaupten, die anwesenden amerikanischen Entscheider seien DUMM im Sinne des Duden gewesen. Sie hatten damals schon allesamt ausreichend Verstand gehabt, um die begründeten und inzwischen offensichtlich berechtigten Warnungen des Wissenschaftlers Ernst zu nehmen und daraus Konsequenzen zu ziehen.

Der in Sachen „unendliche Dummheit“ verdächtigte Einsteinzitatfälscher Fritz Perls, ein berühmter amerikanische Psychiater und Therapeut, liefert eine wesentlich bessere Erklärung für das, was schon 1959 klar war, aber dennoch folgenlos blieb. Verantwortlich sei für die „übermäßige Dummheit auf der Welt eine gierige, ungeduldige Haltung“, ich ergänze „vor allem bei den sogenannten Eliten“.

Gier also ist eine Spielart von Dummheit, vor allem dann, wenn sie sich paart mit Schläue. Auch hier glaube ich das passende Beispiel zu haben.

Der Cheflobbyist der US Ölmultis, Robert Dunlop, der das o.a. Elitentreffen organisiert hat, zeigte sich öffentlich wenig beeindruckt von den Vorhersagen des Wissenschaftlers. Als sich die Problematik der Abhängigkeit vom Rohstoff Erdöl 1967 beim ersten Ölembargo der arabischen Förderstaaten zeigte, wollte der amerikanische Senat Forschungsmittel für Mobilitätsalternativen bereitstellen. Der Vorsitzende des American Petroleum Institutes wiegelte ab: „Wir in der Petroleumindustrie sind überzeugt, dass ein Elektroauto, wenn es in Massenproduktion hergestellt und vermarktet wird, keinen sinnvollen Vorteil hinsichtlich der Luftverschmutzung haben wird. Die Emissionen von Verbrennungsmotoren werden dann längst beherrscht sein“.

Es war nicht zuletzt diese Pro-Domo Argumentation besagter Lobbyorganisation, die immerhin 400 Unternehmen der Ölindustrie vertritt, die technischen Fortschritt in Richtung alternativer Antriebsformen bis heute verhindert hat und trotz aller unübersehbaren Warnzeichen weiter verhindert.

Das besagte American Petroleum Institute gilt bis heute als die Urheberin der organisierten Klimaskepsis und sabotiert ganz im Sinne der Industrie und ihrer Aktionäre alles, was man was man unter Begriffen Energiewende, Verkehrswende, aber auch Agrarwende versteht.

Immerhin: Nach 50 Jahren Dunlopdoktrin kommt man in Sachen Mobilitätsalternativen so langsam in die Puschen. Hätte man sich auf Seiten der (nicht nur deutschen) Autoindustrie nicht mit dem Dieselgate so unsterblich blamiert, was die Beherrschung der Schadstoffemissionen von Verbrennungsmotoren betrifft, wäre das ja wohl noch jahrelang auf Kosten unserer Zukunft so weiter gegangen. Aber dieses offenkundige Paradebeispiel für organisierten Betrug und Öffentlichkeitstäuschung durch die Industrie und einer unglaublichen Kumpanei mit der Politik lässt wohl kaum noch eine Wahl.

Übrigens: Argumentationsmuster wie die des Öllobbyisten Dunlop kennt man in Deutschland seit den 60er Jahren auch von der Atomstromlobby, die bis heute noch kein Gramm des bis heute angefallenen Reaktormülls sicher entsorgt haben. Die Abwiegelungsstrategien der Profiteure gleichen sich auffällig.

Ach ja, fast hätte ich die Bienen vergessen. Da desinformieren die Agrarindustrie und ihre Knechte in den Ministerien gerade erfolgreich die Öffentlichkeit über das Ackergift Glyphosat, und das Insektensterben ist ja in den Augen der Agrarlobby und des zuständigen Ministers auch nur ein Thema für hysterische Wutbürger und NGOs, die nicht verstehen können, warum keine Insekten mehr an ihren Windschutzscheiben kleben.

Wenn dieser Tage nun auch die  Sondierer von Union und SPD das deutsche Klimaziel für 2020 gekippt haben und mit der Verschiebung auf 2030 kokettieren, dann kann auch das mit der Dummheit der Gier erklärt werden. Sie hat sich als Richtschnur der Wirtschaftspolitik etabliert. Wohlstandsparolen werden den Klimakollaps nicht verhindern, im Gegenteil.  Alles halb so schlimm, und ihr lieben Wähler „schlaft weiter“! – Nach uns die Sintflut! sagen die gierigen Dummen. Da wir in diesem Jahr neben dem 100. Geburtstag von Edward Teller auch den 200. Geburtstag von Karl Marx feiern, sagen wir es mal mit seinen Worten: „Après moi le déluge! ist der Wahlruf jedes Kapitalisten und jeder Kapitalistennation.“

Die Plätze auf den höchsten Bäumen sind längst reserviert, aber die Flut wird höher steigen.

Bild: Deukalions Sintflut, Holzschnitt zu den Metamorphosen (Ovid) von Virgil Solis (1514–1562)

Zum Artikel des Guardian: https://goo.gl/dc4p7a

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