Purlautere Einbildungen der Poeten
Hinterlasse einen Kommentar10. August 2017 von Marzellus
„Bees make honey and skilful hives“, Bienen produzieren Honig und kunstreiche Bauten, heißt es im Aberdeen Bestiary, einer kunstvoll gestalteten Handschrift aus dem 12. Jahrhundert. Heute würde man dazu „Luxusausgabe eines Tierlexikons“ sagen. Zwischen den Buchdeckeln der mittelalterlichen Prachtschrift leben Wahrheit und Irrtum ebenso friedvoll zusammen wie Fabelwesen und reale Tiere.
Schon die Illustration zum Stichwort BEE ist seltsam. Eine auffällige, ordentliche Kurve, in der die Tiere in ihren Bau zurückfliegen, betont die Ordnung und die kollektive Arbeit der Bienen. Während die Bienenkörbe relativ realistisch dargestellt sind, sehen ihre Bewohner eher aus wie eine Mischung aus Handgranaten und Federbällen.
Die bizarre Physiognomie erklärt sich aus dem Kontext. Man soll sich bei dem Design wohl an geharnischte Ritter erinnert fühlen, die in ihre Burg zurückkehren. Denn es heißt im Text: „They fill their fortress, made from a network of wax, with countless offspring.“ und „Bees have an army and kings; they fight battles.“ Auch die bunten Bienenkörbe erinnern an die Wappen von Adelshäusern.
Dass man Bienen mit Rauch vertreiben kann, wird ausdrücklich erwähnt, woraus man ebenfalls eine militärische Analogie ableiten könnte. In der Welt der Ritter spielte der Einsatz von Feuer und Rauch auch bei der Belagerung einer Burg eine wichtige Rolle.
Der mittelalterliche Text enthält aber auch einige kuriose Irrtümer, zum Beispiel die Vorstellung, dass Bienen auf Luftschall reagieren: „they are irritated by noise“. Es ist unserer Zeit vorbehalten geblieben mit feinster Mess- und Instrumententechnik nachzuweisen, dass Bienen zwar auf Vibrationsschall aus allernächster Nähe reagieren, aber sie im menschlichen Sinne ansonsten taub sind.
Völlig abwegig aber sehr verbreitet ist bis hinein in die Neuzeit die Vorstellung von der Enstehung von Honigbienen. „creatures that come from oxen are called bees; those that come from horses, are hornets; those from mules, drones;“ heißt es im Aberdeener Bestiarium, und nicht nur da.
Einer, der diese abstruse Idee der Antike über die Geburt von Bienen verbreitet hat, war Vergil (70 v. Chr. Bis 19 v. Chr.). Der berichtet in seiner Georgica, einem umfangreichen Lehrgedicht über die Landwirtschaft der Römer aus dem ersten Jahrhundert v. Christus:
„ Zwar hatte der Halbgott Arisaeus den Menschen die Haltung der Honigbienen gelehrt, doch starben die Honigbienen aus Hungersnot und durch Krankheiten, die durch aufeinander folgende Überflutungen des Nils verursacht wurden aus.“
Doch die Mutter des göttlichen Bienenvaters kennt eine Methode, mit der man die Honigbienen wieder ins Leben rufen kann: Man stecke die toten Insekten in einen getöteten Ochsen und schon werden sie wieder lebendig.
Als Mythos kann das ja noch durchgehen. Aber aus dieser Geschichte hat man in der Antike praktische Maßnahmen abgeleitet. Leidtragende waren heranwachsende Stiere, die wohl lieber als Steak auf den Teller eines reichen Römers gekommen wären, als für die Bienenzucht eingesetzt zu werden.
Vergil beschreibt, wie man die jungen Ochsen für diesen ungewöhnlichen Zweck herrichten sollte: Man suche einen kleinen, abgeschlossenen Platz um darauf eine Hütte mit gedecktem Dach und vier Fenstern zu errichten, dann einen zweijährigen Jungbullen, dessen Hörner sich gerade ausbilden. Wenn man diesem Nüstern und Maul zugestopft hat wird er totgeschlagen. Das Fell muss dabei ganz bleiben. Und weiter:
„Schließe den Kadaver in dem Raum ein und bestreue ihn mit Thymian und Cassia ( Rinde des Zimtkassie). Nach neun Tagen, wenn die Knochen weich geworden sind, werden wunderbare Kreaturen mit summenden Flügeln in die Luft fliegen – ein Schwarm von Bienen“ so der Dichter.
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Gemeine Viehbremse – eine für Rinder fatale Verwechslung (Bild) |
Die alten Ägypter praktizierten eine ähnliche Methode. Sie gruben tote Rinder so in die Erde ein, dass nur die Hörner herausschauten. Diesen sägte man die Spitze ab, und nach einigen Tagen „schlüpften“ Insekten aus dem Kadaver. Entomolgen der Neuzeit haben den für die Rinder fatalen Irrtum aufgeklärt: Was man in der Antike für Bienen gehalten hatte, waren wahrscheinlich Viehbremsen.
Neben dem Ochsenmythos kursierten auch andere Erklärungen für die Enstehung von Bienen. Die waren zwar ebenfalls falsch aber wesentlich rindviehfreundlicher.
Aristoteles, der Vater der modernen Wissenschaften, spricht von verschiedenen Hypothesen, die erklären, dass Bienen weder Sex haben noch Kinder gebären. Die Bienen holen ihre Kinder von den Blüten von Schilfrohr oder Oliven, so seine Meinung.
Verbreitet war auch eine weitere Version von der Entstehung der Bienen aus dem Alten Testament. Das Buch Richter berichtet von dem Helden Simson, der auf dem Weg zu seiner Braut im Kadaver eines Löwen Honig findet. „Vom Fresser kommt Speise, vom Starken kommt Süßes“ lautet Simsons berühmtes Honigrätsel, auf das die Philister vergeblich die Antwort suchten: Was ist süßer als Honig, und was ist stärker als ein Löwe?
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Illustration aus Lemerys: Vollständiges Materialien-Lexicon |
Erst im Zeitalter der Aufklärung, als Mikroskop und Skalpell an die Stelle von Mythos und Autorität treten, verliert sich der Glaube an die Herkunft der Bienen aus Ochsen oder Löwenkadavern.
„Allein durch die vielfältige Erfahrung, da man zu solchem Ende Ochsen und Löwen hat verfaulen lassen, ist zur Gnüge erwiesen, daß solches eine purlautere Einbildung der Poeten gewesen“, so steht es dann 1721 in Lemerys Vollständigen Materialien-Lexicon [1]. Lemery, ein früher Wissenschaftler und Enzyklopäde der Aufklärung, hat zwar Irrtümer beseitigt, um an ihre Stelle zum Teil wieder Irrtümer zu stellen.
Mein Fazit: „Das sind die Weisen, die durch Irrtum zur Wahrheit reisen.“[2]
Quelle: http://www.abdn.ac.uk/bestiary/translat/63r.hti
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