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Wenn Ihr nicht werdet wie die Bienen

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11. November 2017 von Marzellus

Auch sieht die Zofen man, die guten,
Schon emsig hin- und wiedergehn;
Denn Ihre Majestät geruhten
Höchstselbst soeben aufzustehn. (w. Busch)

Wie Menschen über Bienen denken, verrät viel über die Menschen und den jeweiligen Zeitgeist. Seit der Antike spiegeln wir uns selbst in unseren Vorstellungen von Göttern und Tieren. Anthropomorphismus nennt man diese Art von Nabelschau.


Der erste, der das Phänomen der Übertragung menschlicher Verhaltens- und Sehweisen problematisiert hat, war ein antiker Philosoph aus dem 4. Jahrhundert v. Christus namens Xenophanes von Kolon:

Rinder und Rosse und Löwen, hätten sie Hände,| Hände wie Menschen zum Zeichnen, zum Malen, ein Bildwerk zu formen,| Dann würden die Rosse die Götter gleich Rossen, die Rinder gleich Rindern | Malen, und deren Gestalten, die Formen der göttlichen Körper, | Nach ihrem eigenen Bilde erschaffen: ein jedes nach seinem.

Seine Botschaft blieb ungehört. Ausgerechnet Aristoteles hat seinen Philosophenkollegen für „etwas schlicht“ gehalten. Aber der „Lehrer des Abendlandes“ hätte auf seinen religionskritischen Kollegen hören sollen. Dann hätten einige seiner Bienenhypothesen vielleicht nicht über Jahrhunderte hinweg unser Verständnis der Honigbiene und ihres „Staates“ verstellt.

Die problematische Bienen-Menschen Analogie des Aristoteles aus der Epoche der „Morgenröte des klassischen Hellas“ hat bis in unsere Gegenwart Tradition. In der römischen Antike wird die Idee vom politischen Lebewesen Biene wieder von Plinius aufgegriffen. Er bezeichnet den Insektenstaat ausdrücklich als „res publica“, der „consilia“, also „Ratsversammlungen“ abhält. Für Vergil bilden die sozialen Insekten eine „oppida“, einen wehrhaften Stadtstaat.

Widerspruch gegen die Gesellschaftsutopie des quasi idealen Bienenstaates regt sich in den theologischen Schriften des Frühchristentums. Im 3.Jhd. n.Chr. setzt sich der Kirchenvater Origines kritisch mit der antiken Staatsphilosophie auseinander. In einer Debatte mit seinem Zeitgenossen Celsus moniert er, dass Begriffe wie „Stadt, Verfassungen, Obrigkeiten und Herrschaften“, auf Ameisen- und Bienenstaaten übertragen werden.

„Wegen solcher Dinge kann man indessen die Ameisen und Bienen nicht loben, denn sie verfahren dabei nicht mit Berechnung. Die Gottheit aber muß man bewundern, weil sie selbst den vernunftlosen Tieren die Fähigkeit gegeben hat, die vernünftigen Wesen in gewisser Hinsicht nachzuahmen, vielleicht in der Absicht, die vernünftigen Wesen zu beschämen, damit diese im Hinblick auf die Ameisen arbeitsamer und haushälterischer im Gebrauche ihrer Güter werden, und damit sie, wenn sie auf die Bienen achten, der Obrigkeit Gehorsam leisten und ihren Anteil an den notwendigen Staatsgeschäften zum Heile der Städte übernehmen.“ [1]

Origines findet also einen moralischen und erzieherischen Grund dafür, dass der Miniaturstaat der Bienen so reibungslos funktioniert. Wir vernunftbegabten Menschen sollen uns schämen, dass wir es  nicht schaffen, unser Zusammenleben konfliktfrei zu gestalten. Eifer und Fleiß der Insekten dienen als ökonomisches Modell und der Obrigkeit schulden wir Gehorsam.

Die Hypothese vom Bienenstaat als einer gottgewollten, sittlichen und vorbildhaften Ordnung entfaltete nachhaltige Wirkung. In imkerlichen Fachbüchern wie „Die rechte Bienenkunst“ von Caspar Höffler und Christoph Schrot aus dem Jahr 1659, liest man, dass die Beschäftigung mit der „herrlich wohlgeordnet Regiment und Politia“ der Nutzinsekten zur „Besserung und Mehrung äußerlicher Zucht und Ehrbarkeit“ beitrage und uns helfen soll, „unser Leben nach Gottes Geboten, sonderlich gegen der Obrigkeit in Unterthänigkeit anzustellen.

Erste Erosionserscheinungen an einem monarchisch geführten Musterstaat der Bienen zeigen sich dann bei Thomas Hobbes. Auch er nutzt die überlieferte Symbolik des Bienenstaates, um uns seine politischen Ideen zu veranschaulichen.

(…) es gibt gewisse unvernünftige Tiere, wie die Bienen, welche in einem Stock, (…) friedlich miteinander leben ( … ). Sie regieren sich selbst ein jedes nach seinem Urteil und Trieb, ohne vermittelst einer Sprache sich einander deutlich machen zu können, was sie zum allgemeinen Wohl dienlich halten oder nicht. — Warum sollten die Menschen nicht eben das können?

Hobbes stellt in seinem Leviathan (1651) nicht mehr den gottbestimmten Monarchen an die Spitze des Staates. Er setzt entweder auf „eine[n] Einzigen (…) oder aber eine Versammlung, in der durch Abstimmung der Wille aller zu einem gemeinsamen Willen vereinigt wird.“

Die moralische und staatspolitische Vorbildhaftigkeit der Bienen wird dann im frühen 18. Jahrhundert erschüttert. Bernard de Mandeville (1670–1733), ein niederländischer Arzt und Autor veröffentlicht 1705 in England zunächst anonym ein satirisches Spottgedicht mit dem Titel: „Der murrende Bienenstock oder Wie Schurken redlich wurden“. Sein Werk wird zum Bestseller, der von Auflage zu Auflage erweitert wird. Am Ende kriegt jeder sein Fett ab, der an der unmoralischen und auf Einzel- und Gruppenegoismen basierenden Wirtschaft der Bienengesellschaft teilnimmt.

Mandeville stellt die  alte Bienenmetapher vom vorbildlichen Staat auf den Kopf. Die bis dahin fleißigen, gottgefälligen und moralisch vorbildlichen Insekten pervertiert er zu einer  wohlhabenden, aber gewissenlosen Gesellschaft, in der die Reichen ein Luxusleben führen, während die Armen schuften müssen, um überhaupt existieren zu können:

Manch Reicher, der sich wenig mühte, / Bracht’ sein Geschäft zu hoher Blüte, / Indes mit Sense und mit Schaufel / Gar mancher fleißige arme Teufel / Bei seiner Arbeit schwitzend stand, / Damit er was zu knabbern fand.

Hochmut, Gier und Verschwendung der oberen Klassen fördern Handel, Wandel und allgemeine Wohlfahrt, auch bei den Armen. Als die oberen Klassen der Gesellschaft plötzlich redlich, keusch und ehrlich werden, verarmt der Bienenstock und Handel und Handwerk verfallen.

Noch heute sind die satirisch-kritischen Anmerkungen des niederländisch-englischen Moralphilosophen in den Wirtschaftswissenschaften als das Mandeville Paradox bekannt.  Sein Fazit: „Private Laster bringen öffentliche Vorteile“ und seine Einsicht, dass ein der Tugend verpflichteter Staat zu nichts kommt, werden von Ökonomen wie Adam Smith oder im 20. Jahrhundert von John Keynes aufgegriffen, die Gefallen an der „Bienenparabel“ finden. Mandevilles Erkenntnis, dass durch den Drang des Menschen nach immer mehr Besitz und Luxus die Nachfrage gesteigert wird, beschreibt auch unsere Konsumgesellschaft.Wer könnte im Zeitalter der Globalisierung noch ernsthaft behaupten, dass unser Wirtschaften und unser Konsum von moralischen Kriterien bestimmt ist?

Parallel dazu verläuft die Idealisierung des Bienenvolks als Projektion bürgerlicher Tugenden seit Beginn der industriellen Revolution. Mit Werten wie Fleiß, Gewinnstreben, Ordnungsliebe, Patriotismus und Bereitschaft für das Volk das eigene Leben zu opfern befrachtet diente der Bien als Muster der Selbstdisziplin  und kritiklosen Pflichterfüllung.  Mit dem erzieherischen Vorbild des Bienenvolks formte man das Selbstverständnis und die Sozialisation der Menschen für das Industriezeitalter.

Als am Ende des 19. Jahrhunderts mit Darwins Evolutionstheorie eine neue Sichtweise der Natur unser Denken bestimmte, wurde auch der Anthropomorphismus ad acta gelegt. Mit dem allmählichen Verschwinden des alten Herrschaftsmusters der Monarchie und einem imposanten Forschungsfortschritt, der auch die Bienen erfasst hatte, geht eine neue Sicht der Bienen und ihrer Organisationsformen einher.

Eierstöcke der Bienenkönigin; seziert und mikroskopiert von Jan Swammerdam
(1637-1680)

Die neu entstehende Wissenschaft der Biologie  nimmt sich jetzt der Tierwelt mit Skalpell, Mikroskop und vor allem mit einer vom Ballast theologischer oder staatsphilosophischer Interpretationen befreiten Beobachtung an.

Die Entdeckung des Holländers Jan Swammerdam, dass die Bienenkönigin das einzige fortpflanzungsfähige Weibchen des Bienenvolkes ist, hatte zur Konsequenz, dass ein neues Bild vom Bienenstaat entstehen konnte. Bis dahin hatte man geglaubt, Bienenkolonien würden von einem Bienenkönig regiert. In der Folgezeit mutierte die Bienenkönigin von der  alleinherrschenden Regentin zur Bienenmutter, deren wichtigste biologische Bestimmung die „Erhaltung der Art“ ist.

Karl von Frischs Entdeckung der Bienenkommunikation hat unser Bild von der Honigbiene weiter verändert. Gelegentlich findet man hierfür den an Sigmund Freud angelehnten Begriff der „vierten Kränkung der Menschheit“ durch die Wissenschaft. „Jahrhundertelang war die Sprache allein den Menschen vorbehalten gewesen (glaubten die Menschen zumindest), sie war als das Trennende angesehen worden, das homo sapiens von den anderen Lebewesen auf der Erde schied. Von Frischs Forschungen nagten an diesem Selbstbild“ schreibt die Wissenschaftshistorikerin Tania Munz in einem Portrait des berühmten österreichischen Bienenforschers.

Dennoch, die Biologisierung der Biene hat bis heute mit dem historischen Erbe des Anthropomorphismus zu kämpfen.  Im Frühjahr 2014 erschien Thomas Seeleys Buch „Bienendemokratie“.Natürlich sind die darin dargestellten Forschungsergebnisse faszinierend. Gruppen von erfahrenen Suchbienen treffen im Kollektiv die beste Wahl für eine neue Bienenwohnung. „Schwarmintelligenz“ und die Kommunikation zwischen Bienengruppen führen zu einer „vernünftigen“ Entscheidung.

Im Vorwort seiner Arbeit schreibt Seeley:

„Außerdem hoffe ich, dass die Geschichte der wohnungssuchenden Bienen sich auch hilfreich für Sozialwissenschaftler erweisen wird, die nach Wegen suchen, um die Entscheidungsprozesse in Menschengruppen zuverlässiger zu gestalten. In dieser Hinsicht können wir von den Bienen eine wichtige Lektion lernen“

Ja welche denn? Doch wohl die, dass die Bienenforschung einmal mehr Gefahr läuft, wieder in die alte Anthropomorphismusfalle zu treten.

Interessante Links und Texte zum Thema:

  • Johann Phillip Glock: Die Symbolik der Bienen und ihrer Produkte in Sage, Dichtung, Kultus, Kunst und Bräuchen der Völker (1891) [Volltext]
  • Eva Johach: Der Bienenstaat. Geschichte eines politisch-moralischen Exempels [Volltext]
  • Origenes († 253/54) – Gegen Celsus (Contra Celsum) [Volltext]
  • 76 MaxPlanck Forschung 1 | 10 Der Forscher, der auf Bienen flog [PDF]

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