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Insektensterben – oder „Nichtstun ist Machtmissbrauch“

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3. August 2017 von Marzellus

toteInsekten

Eigentlich hätten die alarmierenden Ergebnisse der Langzeitbeobachtung des Entomologischen Vereins Krefeld bereits 2013 Grund zur Sorge gegeben. Brisanz entfaltet das Thema allerdings erst seit diesem Sommer, als die Antwort auf eine Anfrage der GRÜNEN im Deutschen Bundestag ein großes Medienecho erzeugte. Die Nachricht der Insektenforscher, dass in 88 untersuchten Standorten bis zu 80% des Insektenbestandes von 1989 fehlen, hat in der Tat Katastrophenpotential. Entsprechend groß war das Medienecho, als das Thema von den Grünen in den Bundestag getragen wurde. Noch immer gilt: „Nur schlechte Nachrichten sind gute Nachrichten“.

Seit 110 Jahren studiert der Verein die Insektenwelt zwischen Kleve und Koblenz. Das Fazit der Freizeitwissenschaftler ist mehr als beunruhigend: In den letzten Jahrzehnten sind an den untersuchten Standorten, die meisten liegen in ausgewiesenen Naturschutzgebieten, zahlreiche heimische Insektenarten ausgestorben. Der Rückgang bei der Biomasse von eigentlich häufigen Insektenarten in den Insektenfallen der Krefelder Entomologen betrug an an manchen Standorten oft 70, an anderen gar 80 Prozent. Wahrhaft beängstigend!

Doch die mit der Grünen Anfrage im Bundestag verbundene parteipolitische Zuordnung des Themas ruft dann natürlich Gegner auf den Plan. Einer der nicht müde wird darauf hinzuweisen, dass es nicht seriös sei, Ergebnisse aus dem Bereich „Citizen Science“, die bestenfalls nur regionale Aussagen zuließen, zu einem bundesweiten Problem zu machen, ist der Publizist Hasso Mansfeld: „Da wird auf Basis von Kleinststudien ein nationales Horrorszenario verbreitet und niemand aus den Medien prüft das mal.“ so lässt sich der Kommunikationsberater und Ex-Kandidat der rheinland-pfälzischen FDP für ein Europamandat zum Thema ein. Und schnell holt er im Interview auf der Webseite www.salonkolumnisten.com zum Seitenhieb auf die politische Konkurrenz aus: Das Ganze sei „eine Agenda der grünen Lobby. Die These ist: Agrarchemische Mittel wie Glyphosat verringern die Vielfalt an Pflanzen. Weniger Pflanzenvielfalt lässt die Insekten sterben. Es geht also um ein ideologisches Gesamtziel gegen die Art und Weise, wie industrielle Landwirtschaft betrieben wird.“

Man reibt sich verwundert die Augen: Was ein Mansfeld als Ideologie bewertet, ist nicht anderes als die offizielle Position der Weltgemeinschaft. Die UNO hat aus gutem Grund die Jahre 2011 bis 2020 als „Dekade der Biodiversität“ ausgerufen, weil Artenrückgang und der Verlust an Biodiversität bereit in den 90er Jahren eine der großen internationalen politischen Zukunftssoregn waren. Was in Kleve , Krefeld und Koblenz beobachtet wird, ist ein weltweites Problem, das dringend gelöst werden muss, denn es ist nicht nur eine Überlebensfrage für Insekten.

Auf dem Erdgipfel in Rio de Janeiro am 5. Juni 1992 wurde „Das Übereinkommen über die biologische Vielfalt (CBD) beschlossen“. Die Konvention ist ein international rechtsverbindlicher Vertrag und wurde inzwischen von 193 Staaten ratifiziert, darunter auch Deutschland.

Darin steht ausdrücklich, dass man „eingedenk des allgemeinen Mangels an Informationen und Kenntnissen über die biologische Vielfalt sowie der dringenden Notwendigkeit, wissenschaftliche, technische und institutionelle Voraussetzungen für die Bereitstellung des Grundwissens zu schaffen [hat], das für die Planung und Durchführung geeigneter Maßnahmen erforderlich ist“.

Das aktuelle Gemäkel des FDP-Propagandaprofis Mansfeld und anderer industriegesteuerter Meinungsmacher über die dünne wissenschaftliche Datenlage zum tatsächlichen Ausmaß des Insektensterbens ist blanke und bösartige Heuchelei.

Es ist mitnichten Aufgabe der Presse „mal was zu prüfen.“ Aufgabe der Presse ist es, die Öffentlichkeit zu informieren. Die Ergebnisse der Krefelder Freizeitforscher sind deshalb so alarmierend, weil man ihnen gerade nicht methodische Unzulänglichkeit nachsagen kann. Das genaue Gegenteil wird Ihnen von Fachleuten bestätigt.

Die formulierte Kritik an den Ergebnissen unterschlägt die Tatsache, dass die Politik seit 23 Jahren in puncto Insektensterben ihre Hausaufgaben nicht gemacht hat, wozu sie sich in Rio selbstverpflichtet hat. Innerhalb dieser Zeit standen auch FDP Minister und Staatsseretäre in Bund und Ländern in der Verantwortung, dass international vereinbarte Maßnahmenpakete umgesetzt werden mussten. Der eigentliche Skandal ist doch der, dass es außer den Aktivitäten von Hobbywissenschaftlern noch immer kein etabliertes Monitoring darüber gibt, wie sich agrarwirtschaftliches Handeln auf unsere Umwelt und letztendlich auch auf unser langfristiges Überleben auswirkt.

Warum nicht? Mir fällt da nur eine Antwort ein: Damit die Agrarindustrie auch weiter ihre Geschäfte auf Kosten von Menschen und Umwelt machen kann. Wie hieß es da noch vor kurzem in der FDP-Plakatwerbung in NRW? „Nichtstun ist Machtmissbrauch“.

Außerdem: Woher nimmt ein FDP- „Kommunikationsberater“ den Optimismus, dass die Lage in den Regionen außerhalb des Untersuchungsgebietes besser sein könnte? Bedrohlich ist doch gerade die Tatsache, dass der Insektenbestand ausgerechnet in Naturschutzgebieten drastisch zurückgegangen ist. Wie plausibel ist es dann, von einer heilen Welt in intensiv genutzten Agrarzonen auszugehen? Das ist doch ekelhaft tendenziös und postfaktisch im Quadrat.

Übrigens: Ich bin auf den „Mansfeldtext“ gestoßen durch einen Tweet des stellvertretenden Ministerpräsidenten von Rheinland-Pfalz RLP, Volker Wissing (FDP), der auch Agrarminister in seinem Bundesland ist. Seinen Twitter Followern  empfiehlt er den Diskussionsbeitrag seines Parteifreundes Mansfeld zur Lektüre. Es ist eine Schande, dass sich offizielle Vertreter eines Bundeslandes an solchen unseriösen Meinungskampagnen beteiligen. Für mich haben sich Herr Wissing und seinesgleichen spätestens mit diesem Twitterpost  als UNWÄHLBARE Handlanger der multinationalen Konzerne geoutet. Von wegen „Neue FDP“. Das ist immer noch die Partei der Bonzen und Neureichen. Darüber können auch neue Köpfe, neue Farben und neue Parolen nicht hinwegtäuschen.

Politik muss für Bürger/innen da sein, nicht für Megakonzerne wie Bayer und Monsanto! Wann lernt ihr das endlich?

 

Ein Kommentar zu “Insektensterben – oder „Nichtstun ist Machtmissbrauch“

  1. Margarete sagt:

    Ganz richtig ! Ist Herr Lindner, der so viele große Sprüche drauf hat, denn auch wählbar für Menschen, die sich ernsthaft – und zu Recht – Sorgen um die Zukunft ihrer Kinder und Enkelkinder machen? Haben diese Leute, die jede Sorge um die uns ernährende Natur einfach vom Tisch wischen, die Tiere und Pflanzen nur als Gewinn bringende Dinge behandeln, die ein fühlendes und leidendes Lebewesen nicht mehr berührt, denn keine Kinder oder Enkel?
    Ein berühmter Indianer hat einmal gesagt : Am Ende werdet ihr erkennen, dass man Geld nicht essen kann.
    Dem ist nichts hinzu zu fügen!

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