Honig “Grand Cru” – Genuss ist keine Nebensache
Hinterlasse einen Kommentar16. Juni 2017 von Marzellus

Ein Plädoyer für den Blütenhonig
Ein Nachbar hat sich neulich für ein Gratisglas Honig mit den Worten bedankt: “Ich habe noch nie einen besseren Honig gegessen!” Das Kompliment habe ich gerne entgegengenommen, aber seine Formulierung wirft auch Fragen auf.
Ist der Honig meiner Bienen jetzt “besser”, weil auch die Blumen und Obstbaumblüten seines Gartens zum Geschmack des Honigs beigetragen haben? Oder ist seine Aussage wirklich Ausdruck eines authentischen Geschmackserlebnisses? Was mich in diesem Fall etwas stört, ist die sehr blasse sprachliche Würdigung dieser Erfahrung.
Dass Honig “gut” schmeckt – mancher Honig sogar “besser” – ist so ausdrucksschwach wie die Attribute “süß”, “lecker” oder “köstlich”. So kann man auch Nutella, Erdnussbutter oder Marmelade aus dem Supermarkt beschreiben. Der stofflichen und sensorischen Komplexität des beliebten Brotaufstrichs werden solche grobsensorischen Bewertungen auch nicht annähernd gerecht.
Nehmen wir zum Vergleich einmal den Wein, der eine ähnlich lange und faszinierende Kulturgeschichte hat wie der Honig. Für den vergorenen Rebensaft hat sich seit der Antike eine eigene Weinsprache entwickelt, mit der Oenologen und Connaisseure die geschmacklich-en Besonderheiten des Getränks charakterisieren. Das Herausstellen von Geschmacksnuancen und regionalen Eigenarten hat inzwischen auch unter Whisky und Cognacbrennern, Kaffeeröstern, Zigarrendrehern und Schokoladenherstellern Nachahmer gefunden.
Imker tun sich dagegen schwer, den Geschmack von Honig sensorisch zu beschreiben. In der Honigvermarktung überwiegen Hinweise auf den gesundheitlichen Nutzen. Nur selten wagen Bienenhalter ihre Geschmackserfahrung jenseits der oben zitierten Allerweltswörter zu versprachlichen. Eine “sensorische Bonitur”, also das systematische, an Beobachtungskriterien orientierte Herausstellen von geschmacklichen Eigenschaften, ist da eher eine seltene Ausnahme. Dabei hat die immense Aromenvielfalt im Honig mindestens die gleichen Gourmetqualitäten wie die der vorgenannten Produkte.
In diesem Zusammenhang stellt sich mir dann auch die Frage, warum Sortenhonige im Allgemeinen als die “besseren Honige” bewertet werden. Klar, ihre Geschmacksnoten sind eindeutiger als die der Blütenhonige. Aber sind ein gleichbleibender Geschmack und eine gleichbleibende Konsistenz wirklich Kriterien für Qualität? Sind das nicht völlig überflüssige Konzessionen an den allgegenwärtigen Trend zur geschmacklichen Standardisierung, der sich im Zeitalter der industriellen Nahrungsmittelproduktion entwickelt hat?
Mischhonige, also die Blütenhonige aus der Frühtracht oder der Sommertracht, haben gegenüber den Sortenhonigen eine weitaus höhere aromatische Komplexität. Trotzdem werden sie, ich meine zu Unrecht, als “Wald- und Wiesenhonige” abgewertet. Denn gerade sie zeigen doch die besonderen Genussqualitäten, die schon die Menschen der Antike dazu gebracht haben, Nektar und Honig zur “Speise der Götter” aufzuwerten.
Blütenhonige sind der geschmackliche Ausdruck der botanischen Vielfalt einer Region. Das Wetter und die davon abhängige Blütenfülle bestimmen die Aromen eines Honigjahrgangs. Die klimatischen, botanischen und die ökologischen Gegebenheiten im Sammelradius der Bienen sind entscheidend für die Eigenart des hier geernteten Honigs und damit auch für seine geschmacklichen Besonderheiten.
Für den Honig aus meinem Wohnort lässt sich in Analogie zum Wein behaupten, dass er aus einer ausgezeichneten Lage stammt. In dem weiten Talkessel am Fuß der Hohen Acht herrscht ein mildes Kleinklima. Extensiv bewirtschaftete Wiesenflächen, ausgedehnte Heckenareale und vor allem viel Mischwald mit artenreichen Waldsäumen garantieren ein reiches Nektar- und Honigtauangebot während des Bienenjahres. Zahlreiche Obstbäume in den oft großen Hausgärten in einer ländlichen Region bieten im Frühjahr weitere Nahrungsquellen für meine Völker. Eine üppige Sommertracht mit hohem Ertrag zeigt, dass es für die Bienen während ihrer Sammelphase keine Engpässe im Nektar- und Pollenangebot gibt.
Ich sollte vielleicht im nächsten Jahr meinen Nachbarn mal zu einer kleinen Weinprobe einladen und dabei behutsam auf den Honigjahrgang 2018 überleiten. Wenn er den dann gekostet hat, wird er vielleicht sagen: ”Dein Blütenhonig zeigt eine dichte dunkelgelbe Farbe mit leichtem Perlmuttschimmer. Die Konsistenz ist cremig bis feinsteif. Er liegt samtig weich auf der Zunge und entfaltet eine unaufdringliche feine Süße. Fruchtig-spritzige Apfelaromen mischen sich mit einem leicht herben Geschmack von Löwenzahn. Ich kann auch subtile Wildfruchtaromen herausschmecken. Der Abgang ist malzig süß und rund und hinterlässt auf der Zunge fruchtige Aromen. Dieses Jahr haben deine Bienen wieder einen Honig in einer harmonischen Mischung eingetragen, geschmacklich ausgewogen, wie ein Stück klassischer Musik. Das ist der beste Honig, den ich bisher genossen habe.“
Und meine Antwort wird dann kurz und knapp lauten: „So schmeckt nur Honig Grand Cru!“
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